II. Waldgebiet des östlichen Kontinents.
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Die Vergleichung der skandinavischen Regionen mit denen der
Alpen und anderer europäischer Hochgebirge enthüllt uns einige
Charakterzüge, welche dem hohen Norden jenes Gepräge grossartiger
Naturstille aufdrücken, die den Südländer in diesen Landschaften
befremdlich anzieht und des Eingeborenen inniges Anschliessen an
seine Heimath begreiflich macht. Denn nicht die Dürftigkeit der
Gaben wird empfunden, wenn die Natur durch ihre Grösse sich der
Herrschaft der Menschen über ihre Kräfte entzieht. Es sind die
grossen Wälder Skandinaviens und die weiten Einöden der Fjelde,
die bei allem Reichthum der Wasserverbindungen die menschliche
Betriebsamkeit auf enge Räumlichkeiten einschränken und die ursprünglichen
Wechselbeziehungen des organischen Lebens ungestört
walten lassen.
Die Wälder nehmen in den Gebirgen Skandinaviens einen
grösseren Raum ein als in den Alpen, weil die östliche Abdachung
so sanft geneigt und in weiteren Abständen von Thälern durchfurcht
ist, weil nicht bloss das Klima, sondern auch das geognostische Substrat
der Ausbreitung des Ackerbaus entgegensteht. Die ganze Halbinsel
vom Nordkap bis zu dem Hügelrücken, der Schonen, die südlichste
Landschaft Schwedens, absondert, ist eine zusammenhängende
Gneissmasse, die wegen der Langsamkeit ihrer Verwitterung nur
wenig Erdkrume frei macht. Dieses überall, auch im Tieflande
anstehende Gestein lässt den Charakter des skandinavischen Nordens,
sobald man jene Hügel zwischen Schonen und Hailand überschreitet,
sogleich auffallend hervortreten, der nun bis nach Lappland
unverändert bleibt. Bäume mit flacher Wurzelausbreitung, wie
die Fichte, können hier ungestört sich vervielfältigen. Ueber dieser
Nadelholzregion, die in den Alpen die Baumgrenze zu bilden pflegt,
ist in Skandinavien bis zur alpinen Flora allgemein noch ein Gürtel
von Birkenwäldern eingeschaltet. An der westlichen Abdachung
von Hardanger (6o°) folgen die Birken unmittelbar dem Eschenwalde
und den Wiesen des Fjordgestades oder wachsen bis zum Ufer mit
jenem Laubholze gemischt. An seinem oberen Saume verkümmert
der Birkenwald zu Gesträuch und wird hier von hohen Stauden begleitet,
die den subalpinen Gewächsen der Alpen entsprechen : es ist
die Region der Aconiten [Aconitum septentrionale mit Ranunculus
platanifolius), welche hier mit der strauchförmigen Birke, dort mit
der Fichte in Gemeinschaft wachsen. In Lappland zeichnet sich die
Birkenregion durch hohen Graswuchs aus : nicht bloss in den geschlossenen
Beständen bekleidet eine Rasendecke den Boden, es son
dern sich auch fruchtbare Wiesen aus, deren Gräser (Calamagrostis)
zuweilen beinahe Mannshöhe erreichen I31) .
Die alpine Region beginnt mit einer geselligen Vegetation von
Zwergbirken [Betula nana[, die auf dem hjeldplateau die Rhododen
dren der Alpen vertreten. Es ist ein armhoher Strauch, der das
Brennholz für die Sennhütten liefert. Ueber den Zwergbirken folgen
kleinere, zerstreuter wachsende Gesträuche, Vaccinien [V. Myrtillus]
und ähnliche, Beeren tragende Gewächse (.Enipetrum), zwischen denen
die alpinen Stauden anfangen den Boden zu bekleiden, welche sodann
die mittleren Höhen der Region einnehmen. Allein diese Formation
ist weder an Mannigfaltigkeit noch an Ueppigkeit des Wachsthums
mit den alpinen Matten der Alpen irgend zu vergleichen. Auf
fünf Fjeidreisen, die einer Weglänge von etwa 30 g. Meilen entsprechen,
habe ich in Hardanger nur gegen 100 Arten von Gefäss-
pflanzen in diesen alpinen Höhen auffinden können, unter denen
gewisse Stauden zwar durch Häufigkeit der Individuen und durch
liebliche Biüthenfarben den Reiz bunter Gebirgsvegetation gewährten,
aber ohne Höhe und Dichtigkeit des Wuchses. Der ärmliche
Rasen besteht fast nur aus Gräsern, nicht, wie in den Alpen, zugleich
aus nahrhaften Kräutern. Ich bemerkte «*), dass in Hardanger zwei
Arten von alpinen Stauden beinahe die einzigen waren, die einen
wirklichen Rasen bilden, und diese sind nicht grösser als Laubmoose
(,Gnaphalium supinum und Sibbaldiaprocumbens)). Noch mehr wird
der Werth der alpinen Formationen auf den Fjelden durch die ungünstige
Bewässerung des Bodens eingeschränkt, indem in der Tiefe
der Terrainwellen sich Sümpfe und Torfmoore erzeugen, deren
Pflanzendecke grösstentheils aus Cyperaceen, aus Seggen und Wollgras
besteht [Carex, Eriophorum). Der oberste Vegetationsgürtel
endlich wird auf den norwegischen Fjelden und in Lappland aus
Erdlichenen und Moosen gebildet, einer Formation, die in dieser
Ausdehnung den mitteleuropäischen Hochgebirgen ganz fremd ist..
Bis zu ihnen steigen die alpinen Gefässpflanzen nicht hinauf, nur die
Zwergweiden begleiten sie noch [Salixherbacea u. a.). Die Abnahme
der Wärme, die Verkürzung der Vegetationszeit spiegelt sich charakteristisch
in der Reihenfolge der Weidenarten ab, die in veitikalei
Richtung einander ablösen: zuerst umsäumen sie als mannshohe
Sträucher gesellig das Ufer der Bäche und Flüsse, ehe diese über
den Rand des Fjeldplateaus , oft in grossartigen Wasserfällen, her