aufs Neue zu erfüllen, die unorganischen Grundstoffe des lebendigen
Organismus aus der Luft und dem Boden in organische Substanzen
umzubilden, die Kohlenhydrate und dasEiweiss herzustellen, welche
die materiellen Träger alles Lebens auf der Erde sind. Ferner wurden
die neuen Blätter schon im Herbste des vergangenen Jahrs so
weit vorgebildet, um geschützt durch ihre Knospenhüllen am Winterschlafe
Theil zu nehmen, im Frühlinge um so rascher auswachsen
und dadurch die Periode der Belaubung möglichst abkürzen zu
können. Ebenso kann auch die Entwickelung der Blüthen auf beide
Jahrgänge sich vertheilen, und auch für deren Knospen sind dann
besondere Schutzorgane erforderlich. Die Knospenhüllen oder Teg-
mente bedürfen ebenfalls einer angemessenen Sicherung gegen die
Kälte und werden durch Festigkeit des Gewebes, durch Behaarung
oder durch Harze, die die Wärme wenig leiten, dem Frost zu widerstehen
vorbereitet. Wenn also die allgemeinen Aufgaben der Vegetation
und der Fortpflanzung dieselben bleiben, aber ausserdem sowohl
die Belaubung imFrühlinge als die Ablagerung der organischen
Nahrungsstoffe und die Ausstattung der überwinternden Knospen
eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, muss die Wachsthumsperiode
von Bäumen, die ihr Laub verlieren, länger dauern als bei
denjenigen, die es bewahren. Dagegen kann auch das umgekehrte
Verhältniss eintreten, wenn, wie bei den stetig ihre Früchte reifenden
Agrumen, die erforderlichen Leistungen sich steigern und auch in
andern Fällen kann dieser Maassstab derZeit sich ändern, sei es dass
die organische Arbeit selbst beschleunigt ist, oder dass, wie wir
früher bei der Birke und Lärche gesehen haben, der Eintritt oder
das Ende der Wachsthumsperiode an geringere Wärmegrade als bei
anderen Bäumen geknüpft sind.
Bei den immergrünen Nadelhölzern tritt nun also allgemein in
den Vordergrund der Lebenserscheinungen, dass, da die Periode der
Belaubung erspart wird, die Vegetationszeit sich verkürzen kann.
Sobald die Wärme des Frühlings auf sie einwirkt, beginnt die Ernährung
aus den unorganischen Umgebungen unmittelbar. Allein
der Vortheil der Zeitersparung erstreckt sich vielmehr auf den Anfang
als auf das Ende der Wachsthumsperiode. Wenn die Nadel
der Kiefern drei, die der Tannen sogar zehn Jahre und länger sich
thätig erhält 8s), so wird doch wenigstens ein Drittel oder ein Zehntel
ihrer Gesammtmasse in jedem Frühlinge gleichzeitig neu gebildet.
Die Blattknospen müssen daher, wie bei den Laubhölzern, zumUeberwintern
geschickt sein, und ebenso die Blüthenknospen. Die Perio
dicität dieser Bildungen fordert also ebenfalls Ablagerungen von
Stärkemehl im vorausgehenden Jahre, da die Thätigkeit der alten
Blattnadeln der rasch verlaufenden Entwickelung der Knospen nicht
genügt. In der Frühlingsperiode erwachen bei der Kiefer auch die
unterbrochenen Gewebebildungen der verspäteten Samenreife, und in
dieser Jahreszeit bestehen demnach die meisten Ansprüche an Vor-
räthe von Nahrungsstoffen, die, im Herbste aufgespeichert, zum
Wachsthum der Organe bereit sind. Die besondere klimatische Stellung
der Nadelhölzer lässt sich zunächst nur darauf beziehen, dass
neben dem Verbrauch dieser Vorräthe schon der Anfang der Wachsthumsperiode
zur Thätigkeit der grünen Organe dienen kann. Um
so merkwürdiger ist es, dass dieser Vortheil gerade von der Lärche
aufgegeben wird, dem nördlichsten aller Bäume in Sibirien, derabei,
wie bereits gezeigt wurde, durch seine Fähigkeit, die Nadeln noch
im Frost zu bewahren, eigenthümlich dasteht. Die Erscheinung,
dass solchen Vorzügen gemäss die Nadelhölzer die nördliche Baumgrenze
bilden und insofern einer Verkürzung der Vegetationsperiode
angepasst sind, welche die meisten Laubhölzer nicht ertragen, diängt
weiter zu der Frage, weshalb nicht dieselbe geographische Anordnung
auch den immergrünen Laubbäumen zukommt, die doch in
Beziehung auf die Zeitbenutzung in gleicher Lage sind. Wir werden
in der Folge sehen, dass diese ebenso sehr an Klimate von langen
Entwickelungsperioden gebunden sind, wie die Nadelhölzer sich
gegen die Dauer der Vegetationszeit gleichgültig verhalten. Läge
hierin vielleicht ein Fingerzeig, dass in diesem Falle doch nur speci-
fische Eigenthümlichkeiten zu Grunde liegen, und dass die organischen
Schöpfungen zwar nach systematischen Typen an die Scholle
gebunden sind, nicht aber nach der Gestaltung der vegetativen Organe
, die sich bei den verschiedensten Organisationen wiederholen
könnten, und die die Natur den veränderten klimatischen Bedingungen
anzupassen wohl im Stande wäre? Voi eilig wiiide es sein,
dies zu bejahen, da sich doch nicht verkennen lässt, dass die Nadelhölzer
von der Form der immergrünen Laubbäume in mehrfacher
Beziehung abweichen. Nur die starke Oberhaut ist ihien Blättern
gemeinsam: durch die linienförmige Gestalt der Blattnadel und durch
die Einfachheit ihres centralen Gefässbündels sind die Nadelhölzer
weit geneigter, der Kälte Widerstand zu leisten, weil hier die Zerrung
des Gewebes nach dem Längsdurchmesser erfolgt, wogegen