die sie eben noch zu ertragen fähig sind. Die Schneegrenze ist eine
Linie, bis zu welcher der Schnee im Sommer aufthaut: hier, wo der
Gegensatz der Jahrszeiten gering ist und der bewölkte Himmel die
Sonnenwirkung mindert, wird dieses Abschmelzen verlangsamt und
tritt in um so geringerem Maasse ein, als die neuen Schneefälle niemals
aufhören. Unter solchen Bedingungen kann die Temperatur
an der Schneelinie beträchtlich oberhalb des Gefrierpunkts liegen,
aber freilich erhalten sich Bäume in ihrer Nachbarschaft nur an hinreichend
geneigten Abhängen, wo das geschmolzene Schneewasser,
dessen Kälte sie nicht ertragen, schnell in die Tiefe abfliesst.
Oertliche Einflüsse des Standorts können, ohne dass die klimatischen
Bedingungen geändert sind, hier auch sonst, indem sie
den Baumwuchs zurückdrängen, der alpinen Region einen weiteren
Raum und damit zugleich eine grössere Mannigfaltigkeit von Erzeugnissen
verschaffen. Wie dies bereits von der Cordillera pelada erwähnt
wurde, jener fast baumlosen Hochebene an der Küste von
Valdivia, die unter dem Niveau von 3000 Fuss zurückbleibt, so beschreibt
auch Philippi *9) am Vulkan von Chillan über den Wäldern
einen Gürtel von alpinen Sträuchern, dessen Grenzen ihm mehr
»durch den Standort und durch heftige Winde als durch die Temperatur
« bestimmt erschienen. Dass überhaupt die Bäume an der Waldgrenze
sich so leicht in Krummholz verwandeln, dient dieser Auffassung
zur Stütze. Hierdurch erklärt sich auch, dass in Fuegia der
Baumwuchs, weil er des Schutzes gegen den Wind bedarf, in einer
so geringenHöhe aufhört, dass eine Region von wenigstens 2000 Fuss
Umfang daselbst von alpinen Gewächsen eingenommen wird. Sie
bilden hier die Vegetation des ebenen Bodens überhaupt. Eis ist dieselbe
Formation, welche die flachen Torflager bekleidet, die oberhalb
der steilen Küstengehänge sich weithin ausbreiten. Je mehr in
den chilenischen Anden der Wald von der Schneelinie zurücktritt,
desto grösser wird die Uebereinstimmung mit dieser alpinen Flora
von Fuegia, aber hier ist Dürftigkeit und auf der Kordillere ist Fülle.
Gerade wie die Alpen die Höhen Lapplands an Pflanzenschmuck
übertreffen, so ist auch die alpine Region von Süd-Chile, obgleich
ihr so wenig Raum vergönnt ist, reich an Arten und schön6). Mit
dem Krummholz und den alpinen Sträuchern verbindet sich ein Gemisch
von Stauden, welches ebenso sehr von den tropischen Kordilleren,
wie von den antarktischen Gegenden seine Bestandtheile
entlehnt und ausserdem seine besonderen Arten erzeugt hat.
Vegetationscentren. Das antarktische Gebiet ist durch das
Meer, durch die Kordillere und durch das von den Nachbarländern
durchaus abweichende Klima so abgeschlossen und zum Austausch
mit anderen Floren so ungeeignet, als wäre es eine oceanische Insel.
Klimatisch und seiner Lage nach steht es Neuseeland am nächsten,
aber die Waldformationen haben keine Aehnlichkeit, und die Anzahl
der gemeinsamen Pflanzen ist unbeträchtlich 2°), wenn man von denen
absieht, die ein grösseres Wohngebiet bis Australien und weiterhin
umfassen. So merkwürdig es auch sein mag, dass sogar einzelne
Plolzgewächse sich hier über das stille Meer verbreitet haben, so ist
ihre Wanderung doch aus der antarktischen Meeresströmung, den
herrschenden Westwinden, oder durch die Mithülfe der Seevögel,
vielleicht auch durch alte Verkehrswege wohl hinlänglich zu erklären,
ohne dass die Annahme von Landverbindungen in der Vorwelt gerechtfertigt
wäre, die durch keine geologische Thatsache unterstützt
wird.
Eine viel grössere Schwierigkeit für die Theorie der Vegetationscentren
erwächst aus den Beziehungen, die zwischen der antarktischen
Flora Amerikas und den hohen Breiten der nördlichen Hemisphäre
bestehen, zwischen denen jedes Hiilfsmittel des Austausches
zu fehlen scheint. Die Aehnlichkeit der vikariirenden Arten ist zwar
nur ein Beleg für das Gesetz der klimatischen Analogieen, aber die
Behauptung14), dass gegen 50 Arten von Gefässpflanzen in den von
europäischer Kultur fast unberührten Magellanländern mit denen
unserer Hemisphäre identisch seien, möchte wohl als ein bedeutender
Einwurf gegen den Satz geltend gemacht werden, dass jede Art nur
von einem einzigen Centrum ausgegangen sei. Dieser Frage habe
ich, auf Lechler’s Sammlungen an der Magellanstrasse mich stützend,
eine ausführliche Untersuchung gewidmet14), nach deren Ergebniss
doch auch hier zur Ausstreuung des Samens von einem Punkte aus
die gegenwärtig wirksamen Kräfte genügend erscheinen. Es wurde
nachgewiesen, dass fast die Hälfte der europäischen Arten an der
Magellanstrasse (22) von landenden oder gescheiterten Schiffen her-
rühren konnte, dass andere (10) als Wasser- und Küstenpflanzen
über die ganze Erde zerstreut und mehr oder weniger ubiquitär sind,
und dass die übrigen (17) mit einer einzigen Ausnahme specifische
Unterscheidungsmerkmale darbieten, wonach sie aus der Reihe der
identischen in die der vikariirenden Arten zu versetzen sind. Die
einzige, damals unerklärt gebliebene Ausnahme (Gentiana prostrata)