die Wälder aber, die einer längeren Vegetationsperiode bedürfen,
können dem erkältenden Einflüsse arktischer Meeresströmungen nicht
widerstehen, wenn die Tage wieder kürzer werden und die Sonne
nun rasch an erwärmender Kraft verliert. In Skandinavien finden
wir nur eine alpine, keine arktische b lora, die Bäume 1 eichen hier
bis in die Nähe des Nordkaps (7i°N.B.), weil der Golfstrom bis
hieher die Küste von Eis frei erhält, aber schon im Gouvernement
Archangel, im europäischen Samojedenlande, tritt die Waldgrenze in
den Kontinent |66°] IT) und zieht sich nun von hier aus durch ganz
Sibirien, in einem bestimmten Abstande von dei Küste verhairend
[Jenisei 69VA, Taimyrland 71 V2°, Lena 71°, Behringstrasse 64°] I2).
Hier verbrauchen die Eismassen, um sich vom Festlande abzulösen,
diejenige Wärme, welche tiefer landeinwärts den Wäldern zu ihrer
Erhaltung dient. Dieser Schmelzungsprocess des Küsteneises ist
auch die Ursache von der tiefsten südlichen Kurve der Baumgrenze,
welche die Wälder Nordamerikas beinahe bis zur Breite von Petersburg
zurückdrängt und der arktischen Flora eine um so grössere
Ausbreitung nach Süden einräumt |Behringstrasse 66x/2, Grosser
Bärensee 67°, Hudsonsbai 6ox/2°] I2)- Denn das arktische Festland
Amerikas ist weit ungünstiger gestellt als Asien, theils weil zwischen
der Behringstrasse und der Mündung des Mackenzie die Strömungen
das Eis so langsam entfernen und das Wachsthum desselben hier am
stärksten ist 9), theils weil es in der Hudsonsbai selbst keinen Ausgang
nach Süden findet, also an Ort und Stelle schmelzen muss, in
diesem kalten Behälter, der im Sommer nicht bloss sein eigenes
Wintereis, sondern auch diejenigen Massen verzehren muss, die von
der Davisstrasse hineingelangt sind. In den westlicher gelegenen
Meridianen, wo der der Küste anliegende Archipel grosser Inseln,
wie Banksland und Wollastonland, die Anhäufung des Eises mindert,
erreicht die Baumgrenze die grösste Polhöhe (67°) in Ameiika.
Die arktische Flora selbst also behauptet den Charakter grosser
Gleichartigkeit, der jedoch durch die geognostischeBildung des Erdreichs
und die davon abhängige Temperatur der Bodenfeuchtigkeit
in einem grossen Verhältniss beeinflusst wird. Fragen wir nun, worin
diese Gleichheit physischer Bedingungen besteht, von der die Pflanzenformen
nur der Ausdruck sind, so finden wir das Uebereinstim-
mende in der Kürze der Vegetationsperiode und in der verhältniss-
mässig geringen Wärme auch dieses Zeitraums. Es giebt viele
Gegenden im arktischen Gebiet, wo die Lufttemperatur wie in Spitzbergen
nur in den drei Sommermonaten über den Gefrierpunkt
steigt, und da die Saftbewegung der Pflanzen nur dann möglich ist
oder durch die Sonnenstrahlen eingeleitet fortdauern kann, wenn der
Boden flüssiges Wasser liefert, so muss ihre Organisation so eingerichtet
sein, dass sie einen Winterschlaf von wenigstens 9 Monaten
ertragen können. In einigen arktischen Ländern erstreckt sich die
über dem Frostpunkt liegende Wärme auf einen längeren Zeitraum,
in Island und an der grönländischen Westküste sogar bis auf 5 oder
6 Monate13), und doch verlängert sich auch in diesem Falle die
Vegetationsperiode nicht bedeutend, denn es geht eine beträchtliche
Zeit verloren, bis der Schnee des Winters weggeschmolzen ist, oder
wenn in den Herbstmonaten neue Schneefälle eintreten. Es ist dasselbe
Verhältniss wie in der alpinen Region der Alpen oberhalb der
Waldgrenze, wo z. B. auf dem Bernhardhospiz I3) 5 Monate lang die
Lufttemperatur über dem Gefrierpunkte steht und doch wegen des
Zeitverlustes, bis der Schnee entfernt ist, dér Vegetation nur eine
Periode von etwa 3 Monaten zu Gebote steht, die dem Baumleben
nicht genügt. Ich nehme an, dass die arktische Flora ebenfalls die
Entwickelungsperiode ihrer Pflanzen nicht leicht über 3 Monate verlängern
kann, dass sie aber in Gegenden, wo der Schnee erst spät
im Sommer verschwindet, auch mit einer viel kürzeren Zeit auszukommen
hat, und dies ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der in der
Organisation ihrer Pflanzenformen seinen Ausdruck finden wird.
Wäre aber auch ein früheres Erwachen und eine längere Erhaltung
des Saftumtriebes möglich, als jenes angenommene äusserste
Zeitmaass umfasst, so würden doch alle die Gewächse ausgeschlossen
bleiben, die zur Vollendung ihrer jährlichen Bildungen zwar die erforderliche
Zeit hindurch flüssiges Wasser im Boden fänden , deren
Entwickelung aber an höhere Temperaturen gebunden ist. Dies ist
die Ursache, weshalb die Bäume nicht mehr fortkommen, von denen
die Birke, die unter den Laubhölzern am weitesten in kalte Klimate
vordringt, doch erst bei einer Wärme von 6° R. den Frühlingstrieb
zu entwickeln beginnt. Diese Wärme wird in Grönland, in der Breite
von Island (65°), kaum 2 Monate hindurch, im Juli und August, erreicht,
also viel zu kurze Zeit für die Vollendung ihres jährlichen
Wachsthums. An den Südgrenzen des arktischen Gebiets, wo die
Bäume ihre Lebensbedingungen zu finden anfangen, können wTir den
Einfluss, den die Kürze der Entwickelungszeit auf die Vegetation
ausübt, am sichersten erkennen. Der Süden Islands, der vom Golf