Geht man über die südlichen Grenzen der tropischen Anden
hinaus, so bemerkt man eine gewisse Verwandtschaft der peruanischen
mit der chilenischen Flora, die sich in der Physiognomie der
Berglandschaften und auch darin äussert, dass einzelne identische
Pflanzenarten über beide Länder verbreitet sind. Hier begegnet uns
der seltene Fall, dass der Wendekreis ihren Wanderungen kein Ziel
setzt, der doch sonst als allgemeine Grenze des wachsenden Gegensatzes
warmer und kalter Jahrszeiten für die periodischen Phasen
vegetativer Entwickelung von so weitgreifender Bedeutung ist. Als
Beispiel führe ich die Kartoffel an, deren Heimath von dem Küstengebiete
Perus bis zu den feuchten Inseln des Chonos-Archipels (450
S. B.) sicher nachgewiesen ist?»). Die Unabhängigkeit dieser Pflanze
von klimatischen Einflüssen, die unter allen Gaben der neuen an die
alte Welt die erste Stelle einnimmt, hat sich zwar durch die Kultur
im weitesten Umfange bewährt: in ihrer natürlichen Wanderung aber
ist sie auf die untere Region der westlichen Andenkette beschränkt
geblieben. Denn obgleich sie hier den grössten Unterschieden der
Bewässerung und Dürre zu trotzen hat, so vermochte sie doch weder
die Kordillere zu überschreiten, noch die gleichmässig hohe Wärme
der Tropen zu ertragen. Die Kartoffel ist wesentlich ein periodisches
Gewächs und der ihren Vegetationsphasen entsprechende Unterschied
der Jahrszeiten ist es eben, wodurch das peruanische Küstenklima
dem chilenischen gleicht und aus dem Bereich anderer Tropenländer
heraustritt. Der wärmste Monat im Lima ist um mehr als 7 Grade
Reaumur wärmer als der kälteste7). Die Gleichmässigkeit der
Temperatur in allen Jahrszeiten wird unter den Tropen im Allgemeinen
dadurch gesteigert, dass mit dem Zenithstande der Sonne die
Regenzeit eintritt, und also in der Periode des Jahrs, in welcher ihre
Strahlen am heissesten sind, deren Wirkung durch die Umwölkung
des Himmels geschwächt wird. Ist dagegen, wie in Peru, der Sommer
heiter und der Himmel im Winter von Nebeln und Wolken bedeckt, so
wächst der Unterschied zwischen der erwärmenden Kraft der Sonne
zur Zeit ihres höchsten und ihres niedrigsten Standes. Unter diesen
Bedingungen wird daher die Periodicität des Pflanzenlebens nicht
bloss, wie in andern Tropenländern, von dem Wechsel der Feuchtigkeit
und der Dürre, sondern auch von der Temperaturkurve der
Jahrszeiten bedingt sein. Sodann trägt aber auch die Abkühlung der
ganzen Küste durch den Humboldt-Strom dazu bei, dieKlimate von
Peru und Chile in eine nähere Verbindung zu setzen.
Indessen sind diese Beziehungen doch nur auf die Küstenlandschaften
von Peru und Bolivien beschränkt. Der grösste Theil der
Oberfläche ist in den dortigen Anden so hoch gelegen, dass nur eine
alpine Vegetation bestehen kann, und eben dadurch unterscheidet
sich dieses Hochland vom mexikanischen, dass der zwischen den
Kordilleren eingeschlossene Raum oder wenigstens die am höchsten
gelegene Puna-Region nicht, wie dort, den Vegetationsformen der
gemässigten Zone zugänglich ist, sondern in weitem Umfange oberhalb
der Baumgrenze liegt (10200 bis 13100 Fuss). Und eben hier
ist die jährliche Temperaturkurve gleichmässiger, weil die Niederschläge
im Sommer stattfinden: oft freilich wird ihr mittleres Maass
erst durch heftige Stürme, die von den Schneebergen in die engen
Thaleinschnitte stürzen, unter gewaltsamen Schwankungen wieder
ausgeglichen. Am See von Titicaca (12700 Fuss), auf den weiten
Hochflächen des Grenzgebiets von Peru und Bolivien werden nur
noch Kulturgewächse von kurzer Vegetationsperiode geerntet: der
schroffe Wechsel der Tag- und Nachtwärme7), der so hoch gelegenen
Ebenen eigen ist und der hier durch die Bewegungen der Atmosphäre
noch gesteigert wird, kann den Mangel einer dauernd warmen Jahrszeit
nicht ersetzen. Ungeachtet des verschiedenen Zeitpunkts dei
Niederschläge ist indessen die Verwandtschaft der alpinen Flora von
Peru mit der von Chile wenigstens ebenso gross wie in den Küstenregionen.
In beiden Fällen ist die Entwickelungsperiode der Vegetation
von kurzer Dauer: wie sie unter den tropischen Breitengraden
durch die Niederschläge der Sommermonate am meisten belebt wird,
so hat in Chile der schmelzende Schnee der wärmeren Jahrszeit für
die alpinen Pflanzen eine ähnliche Bedeutung. Aber weder in I eru,
noch in Chile können diese hohen Regionen ein dichtes Wachsthum
von Kräutern und Gräsern hervorbringen. Hier herrschen ähnliche
oder sogar noch weniger zusagende Verhältnisse wie in Tibet: die
Trockenheit der Luft drängt die alpinen Matten zurück und erzeugt
eine öde Hochsteppe. Bis zu den Schneeregionen macht sich der
überwiegende Einfluss geltend, den die ostwärts vorliegende Kordillere
auf die Bewässerung des Bodens ausübt. Wo, wie in die
Hochthäler von Quito, die der oberen Sierra und der Puna-Region
entsprechenden Paramos, der dampfreiche Passatwind eindringen
kann, ist die alpine Vegetation der Anden mit blumenreichen Stauden,
wie in den Alpen, ausgestattet10).
Um eine reichere und überhaupt eine tropische Vegetation in
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