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berühren oder an der Baumgrenze nur noch Sträucher, weiter aufwärts
die Alpenmatten übrig bleiben.
Wie es also im Gebirge eine Menge von Pflanzengrenzen giebt,
die zur übersichtlichen Schilderung der Vegetation und zur Untersuchung
ihrer physischen Bedingungen ungeeignet sind, weil der
Wechsel der Arten in stetiger Reihenfolge unmerklich vor sich geht,
so ist dies in den grossen Ebenen, wo die klimatischen Gegensätze
über so weite Räume sich vertheilen, in viel höherem Maasse der
Fall. In den Alpen durchschreitet man, von den Thälern zum ewigen
Schnee ansteigend, in wenigen Stunden dieselben oder ähnliche Kli—
mate, deren Abstufung in der Tiefebene sich vielleicht auf 30 Breitengrade
ausdehnt. Aber nicht allein die räumlichen Unterschiede erschweren
die Benutzung klimatischer Grenzen zu Eintheilungen der
Erdoberfläche von geographischem Werth, sondern mehrere andere
Verhältnisse haben dazu beigetragen, den Vegetationslinien einen
weniger leichten Eingang zu verschaffen als den Regionen, deren
Bedeutung sofort allgemein anerkannt wurde. Zuerst ist es, wenn
man in der Ebene die Verbreitungsgrenze einer Pflanze festgestellt
hat, viel schwieriger zu entscheiden, ob dieselbe von einem klimatischen
Werthe abhängt oder nur auf einer unvollendeten Wanderung
beruht', die, wenn der Ansiedelung Raum geschafft würde, jene
Grenzlinie vorrücken müsste. Denn durch die Vegetation, welche
sich des Bodens bereits bemächtigt hat, durch die Grösse des Raums
selbst wird die Pflanzenwanderung in horizontaler weit mehr als in
vertikaler Richtung erschwert, wo der klimatische Grenzwerth durch
die Radien des Kreises, über dem ein Gewächs seinen Samen ausstreut,
so bald erreicht wird. Dies hat Sendtner durchaus übersehen,
als er in seinem Werke über die Vegetation der bayerischen Alpen5)
klimatische und nicht klimatische Pflanzengrenzen ohne Unterscheidung
zusammenstellte. Gerade die Alpen, die Hochgebirge überhaupt
sind in dieser Beziehung lehrreich. Die horizontale Verbreitung
der Pflanzen, welche die Kämme und Gipfel des Gebirgs bewohnen,
ist durch die Pässe und Thalfurchen gehemmt. Hier haben manche
Arten an demselben Abhange einen weit grösseren Wechsel des
Klimas zu ertragen, als wenn sie in gleicher Höhe durch die ganze
Alpenkette fortgewandert wären, und es sind daher nur mechanische
Hindernisse, wodurch entlegene Theile des Gebirgs, wie Illyrien und
das Dauphine, eine so hohe Eigenthümlichkeit ihrer Flora behaupten.
Die Grenzen der östlichen und westlichen Alpenpflanzen haben nur
für die Erforschung der Vegetationscentren eine gewisse Bedeutung,
sie sind veränderliche, die klimatischen Grenzen sind unveränderliche
Werthe, und auf diese möchte ich nun überhaupt den Begriff
der Vegetationslinien einschränken, um den Raum , den sie um-
schliessen, mit den Gebirgsregionen vergleichen zu können.
Die Aufgabe, diese wahren, klimatischen Vegetationslinien von
historisch gegebenen Pflanzengrenzen zu unterscheiden, wird ferner
dadurch erschwert, dass das Gedeihen eines Gewächses von den verschiedensten,
gleichzeitig auf dasselbe wirkenden, klimatischen Einflüssen
abhängt. Die Wälder bedürfen, um den jährlichen Kreislauf
des Baumlebens zu vollenden, eines längeren Zeitraums als kleinere
Gewächse, und während dieser Periode der genügenden Wärme, aber
zugleich auch einer grossen Masse von Wasser, welches von den
Wurzeln zur Krone beständig durch die Stämme strömen muss. Die
Baumgrenze ist daher sowohl von einer bestimmten Gestalt der Temperaturkurve,
als von stetigen, den Boden tränkenden Wasserzuflüssen
abhängig, und ihr Verlauf wird um so unregelmässiger, je
wenigerWärme und Feuchtigkeit zu einander in geographischer Beziehung
stehen. Von den einzelnen Holzgewächsen ertragen einige
die höchsten Kältegrade, bei denen das Quecksilber starr wird, andere
erfrieren leicht, gewisse Arten, wie der Weinstock, bringen ihre
Früchte nicht zur Vollkommenheit, wenn die Reife durch die Wärme
des Spätsommers nicht begünstigt ist. Bäume, deren Wurzeln tief
in den Boden eindringen, können in einem grossen Theile Sibiriens
nicht gedeihen, wo das unterirdische Eis im Sommer nur oberflächlich
aufthaut. Alle diese Aenderungen der physischen Lebensbedingungen
, deren Maass durch die Gestalt der jährlichen Temperaturkurve,
durch die Wärme der einzelnen Jahresabschnitte gegeben ist,
hängen theils von den Breitengraden, theils von dem Gegensatz des
See- und Kontinentalklimas ab', sie steigern oder mindern sich sowohl
mit der solaren Wärme, als mit dem geographischen Abstande
vom atlantischen Meer. Die Vegetationslinien entsprechen demnach
nicht immer dem Verlauf bestimmter, klimatischer Grenzwerthe,
sonderndem Zusammenwirken mehrerer. Auf Karten eingetragen,
erscheinen sie oft viel unregelmässiger als die Grenzen der W ald-
und Schneeregionen, welche die unmittelbare Anschauung oft schon
aus der Ferne oder vom Fusse des Gebirgs aus als horizontal verlaufende
Linien weithin unterscheidet. In vertikaler Richtung nimmt
die Wärme der Luft und des Bodens mit der Höhe so regelmässig ab