gerung der kontinentalen Sommerwärme vorhanden ist, und die tiefe
Temperatur der durch das schmelzende Eis genährten Erdfeuchtigkeit
ist für die Sommer- und Wintercerealien von gleich nachtheiligem
Einfluss: die Nadelhölzer müssen sich indifferenter dagegen
verhalten. Im europäischen Russland wirkt die Tageslänge noch
bedeutend auf die Polargrenze der Sommercerealien ein, weil das
unterirdische Eis im Samojedenlande erst innerhalb des Polarkreises
auftritt vsj und also im Bereiche des Ackerbaus die solare Wärme
durch dasselbe nicht verzehrt wird. In Sibirien sind die Tage da,
wo der Ackerbau aufhört, schon beträchtlich kürzer, und so wird
hier auch durch die nächtliche Strahlung die Temperatur dei Luft
verhältnissmässig sinken. Das gemischte Klima am ochotskischen
Meerbusen endlich lässt den Ackerbau nicht zu, weil die Sommei-
wärme überhaupt zu gering ist, und selbst in Kamtschatka haben die
Versuche, Korn zu ernten, nur im Inneren des Landes und auch da
nur geringen Erfolg gehabt.
So gut sich demnach die Polargrenze der Sommercerealien bei
aller scheinbaren Unregelmässigkeit aus den wechselnden klimatischen
Bedingungen ableiten lässt, so trägt doch auch ein der Gerste
eigenes physiologisches Verhältniss dazu bei, ihren Anbau in Sibirien
zu beschränken. Diese Getraideart hat in einem viel höheren Grade
als der Roggen die Fähigkeit, klimatische Varietäten zu erzeugen,
und lehrreich sind die Erfahrungen, die man hierüber in Norwegen
gesammelt hat. Man hat in Sibirien diese Seite der Aufgabe vernachlässigt
und hier, bei der Entlegenheit der Kultursitze, oftmals,
wie Middendorf anführt, den Getraidebau wegen Mangels an Saatkorn
nicht fortsetzen können, wenn Jahrgänge vorkamen, in denen
die Ernten durch Frost zu Grunde gingen. In Europa könne man
den Verlust leicht ersetzen, in Sibirien nicht. In dieser Beziehung
ist nun allerdings ein Fortschritt des Ackerbaus möglich, wenn man
geeignete Varietäten der Gerste allgemeiner einführt. Middendorff
fand nämlich, dass die Vegetationszeit der Gerste in Sibirien zehn
bis zwölf Wochen dauert, und ebenso lang sei sie in Livland. Die
Erfahrungen in Norwegen nun, welche Schübeler mittheilt 7Ö), zeigen,
dass gerade bei der Gerste eine Akklimatisation stattfindet, die durchaus
dem Darwinschen Gesetze der Zuchtwahl entspricht, welches in
Bezug auf klimatische Varietäten seine volle Berechtigung hat und
in diesem Falle klar hervortritt. Ist in eine hochnordische Gegend
Saatkorn eingeführt worden, so werden vielleicht nur einzelne kräftige
Individuen ihre Samen völlig zur Reife bringen können, und, da
nun diese allein zu neuen Saaten benutzt werden, so entstehen mit
jedem Jahr vermöge der Erblichkeit solcher Eigenthümlichkeiten
grössere Mengen von frühreifen Aehren, und zuletzt bildet sich eine
Varietät, deren Charakter eben in einer grösseren Beschleunigungsfähigkeit
des Wachsthums, in einer kürzeren Vegetationszeit besteht.
Von dieser Eigenheit der Gerste, je nach den physischen Bedingungen
die Entwickelung zu verlängern oder zu verkürzen, habe ich auf
meiner norwegischen Reise mehrere Beispiele gesammelt70). Auf
der kurzen Strecke von Hardanger bis Bergen bewegten sich die
Variationen der Vegetationszeit zwischen 71 und 140 Tagen. Dabei
fand ich, dass die Beschleunigung in der Zeit von der Keimung bis
zur Blüthebildung stattfindet, also wiederum auf die grünen Organe
sich bezieht, die vom Lichte der langen Tage zehren, und dass hingegen
die Periode von der Blüthe bis zur Reife des Korns in diesem
Theile Norwegens sich ebenso verhielt wie in Sachsen. Wenige
Meilen Abstand am Meeresufer des Fjord bewirkten schon einen beträchtlichen
Unterschied in der Dauer der Wachsthumsperiode. »Wie
die edlen und gemeinen Weine am Rhein oft dicht neben einander
erzeugt werden«, bemerkte ich , »so rücken hier in einem weit grösseren
Maassstabe verschiedene Klimate und Bodenverhältnisse nahe
zusammen: das ist die Wirkung der engen, über 4000 Fuss tiefen,
nach allen vier Weltgegenden gerichteten, von reverberirten Sonnenstrahlen
getroffenen« oder in Nebel gehüllten »Fjordschluchten«.
Beobachtungen dieser Art wurden neuerlich von Schübeler in einem
anderen Sinne wieder aufgenommen, indem er verschiedene Varietäten
der Gerste im botanischen Garten von Christiania, also unter
gleichen physischen Bedingungen baute und die Variationen der
Wachsthumsperiode verglich, die in diesem Falle also erblich ange-
eiffneteEisrenthümlichkeiten des Saatkorns bezeichnen. Die Schwan-
kungen waren hier weniger gross, sie umfassten 77 bis 105 lä g e ,
aber in einem Falle, und dies ist das merkwürdigste Ergebniss seiner
Untersuchung, beobachtete er eine Verkürzung der zwischen Saat
und Reife des Korns verflossenen Zeit bis auf 55 Tage (29. Mai bis
19. Juli). Diese Gerstenkörner aber hatte er eben von der Polargrenze
des Getreidebaus, von Alten in Lappland, erhalten, und hier
zeigte sich also, was über die Zuchtwahl vorhin gesagt wurde, am
entschiedensten ausgedrückt. Es war freilich nicht die gewöhnliche,
sondern angeblich die sechszeilige Gerste (.Hordewn hexastichon), die