scheint, um die Vertheilung dieser Centren zu erklären, die Grösse
und der Umfang der Gebirge in Betracht gezogen werden zu müssen.
Die Alpen haben in dieser Beziehung den Vorrang vor den übrigen
Gebirgen, allein das Ueberwiegen des Endemismus der Pyrenäen
über den der Karpaten und die Abwesenheit eigenthümlicher Erzeugnisse
auf den nordischen Fjelden fordern zu anderen Erwägungen
auf. Den nächsten Gesichtspunkt bietet die geographische Lage
der einzelnen Gebirge, die auf die Wanderungen von Einfluss ist.
Von einem centralen Punkte können diese wie die Radien eines
Kreises nach allen Richtungen gehen, wo also in grösserer Anzahl
wieder ähnliche Gebirge oder zu Ansiedelungen angemessene Verhältnisse
des Klimas und des Standorts ihnen begegnen, als wenn
sie, wie die Pyrenäen, von zwei Seiten durch das Meer beschränkt
sind. Auch in dieser Beziehung sind die Alpen für den Austausch
der Pflanzen am vortheilhaftesten gelegen, und in der That ist die
Zahl der Arten, welche sie mit anderen Gebirgen gemeinsam besitzen,
selbst abgesehen von denen, die auch das Tiefland bewohnen,
beinahe sechsfach so gross als die ihrer endemischen Erzeugnisse.
Von den Pyrenäenpflanzen hingegen hat sich nur etwa die Hälfte
derjenigen Arten, die diesseits dieses Gebirgs nicht weiter Vorkommen,
auf den spanischen Bergsystemen wiedergefunden, die übrigen
sind endemisch geblieben. Ebenso ist der Austausch der Karpaten
nach Osten durch die russischen Ebenen gehindert, und auch dieses
Verhältniss ist durch eine grössere Anzahl eigenthümlicher Pflanzen
ausgesprochen. Die Lage der skandinavischen Fjelde ist zwar in
noch weit höherem Grade geographisch abgeschlossen, aber dennoch
ist sie die ungünstigste, den Endemismus zu bewahren, weil durch
Lappland mit dem arktischen Tiefland auf der Halbinsel Kola eine
ununterbrochene Verbindung besteht, wodurch die Wanderung in
ähnliche Klimate so sehr erleichtert wird: die norwegischen Gebirgs-
pflanzen sind daher ausnahmslos entweder arktisch oder zugleich bis
zu den Alpen und anderen mitteleuropäischen Höhenzügen verbreitet.
Aehnlich ist auch über den Ural zu urtheilen, der im Norden in die
arktische, im Süden in die Steppenflora ausläuft und in beiden Fällen
die Einwanderung vom Gebirge in die Ebene begünstigt. Ein drittes
Moment, welches auf den Endemismus der Gebirge einwirkt, ist ihre
klimatische Stellung, und ein viertes beruht auf ihrem geologischen
Bau. Dem wärmeren Klima ist eine grössere Reihe von Pflanzen angepasst
als dem kälteren, und daher wachsen die Zahlen endemischer
Arten in südlicher Richtung. Je mannigfaltiger endlich die Bodenverhältnisse
und je abgeschlossener die einzelnen Gebirgsgruppen
durch ihre Hebung sind, desto reicher wird ihre Flora. Aus diesen
Beziehungen, der Grösse, der Lage, dem Klima und dem Bau der
einzelnen Gebirge lassen sich die meisten Verhältnisse ihrer Flora in
Europa erklären, aber keineswegs sind sie die einzigen: denn in
anderen Theilen der Erde werden wir erfahren, dass die Vegeta-
tionscentren auch ganz unabhängig von gegenwärtig wirksamen Bedingungen
reich oder arm sein können. In Europa selbst geben hievon
schon die Gebirge von Schottland und Wales eine Andeutung,
die ungeachtet ihrer abgesonderten Lage und der eigenthümlichen
Entfaltung ihres Seeklimas doch keine einzige endemische Pflanze
besitzen.
Die Alpen selbst, nach ihren einzelnen Gebirgsgruppen verglichen
, bieten einen reichen Stoff, über die Ausgangspunkte der
Pflanzenwanderung nachzudenken. Sie enthalten über 800 Gewächse
'815), die dem Tieflande fehlen, und von denen die nicht endemischen
Arten ^625) bald auf die meisten, bald auf einzelne mittel- oder
südeuropäische und andere Gebirge übergehen, während diejenigen,
welche der alpinen Region und der arktischen Flora gemeinsam sind,
noch nicht den fünften Theil der Gesammtzahl ausmachen (143).
Nach der Art und Weise der Verbreitung kann man nicht selten be-
urtheilen, ob der Ursprungsort in den Alpen selbst oder anderswo
gelegen war, wenn man von dem Satze ausgeht, dass dieser in klimatischer
Beziehung der günstigste ist und also in der Peripherie des
Wohngebiets die Fundorte sporadisch werden. So giebt es einzelne
Arten, die, wie das Krummholz, auf den Karpaten allgemeiner Vorkommen
und in westlicher Richtung auf den Alpen verschwinden,
andere, die von den Pyrenäen aus nur noch einzelne Berge des
Dauphiné erreichen (z. B. Gentiana Burscri). Allein solche Fälle
sind fast verschwindend selten denen gegenüber, wo die Alpen im
Mittelpunkte des Wohngebiets liegen, und somit wäre nach dieser
Betrachtungsweise das mächtigste Gebirge Europas auch das bei
Weitem reichste Heimathsland seiner Gewächse. Indessen lassen
diese Schlussfolgerungen doch noch immer dem Einwurfe Raum,
dass durch Erzeugung klimatischer Varietäten gerade das später eingenommene
Wohngebiet der Massenvermehrung von Individuen einer
Art vortheilhafter werden kann als das ursprüngliche. So könnte
das Krummholz, welches auf der Alpengruppe des Orteier zu einem