kürzt«). Diese Beschleunigung ist indessen nicht eine Folge schnelleren
Wachsthums, sondern davon, dass die in den Wintermonaten
stattfindende Unterbrechung desselben nach Süden allmälig aufhört.
Der Winterweizen tritt, nachdem die Saat gekeimt ist, in den Stillstand
der Entwickelung ein, wenn die Temperatur unter 6 °R . zu
sinken anfängt. In Berlin haben die 5 Monate November bis März
einen tieferen mittleren Thermometerstand, es bleiben daher 6 Monate,
der Oktober und die Zeit von April bis August für die Entwickelungsperiode
des Weizen übrig. In Palermo, wo die Mittelwärme
des kältesten Monats über 8° beträgt, fällt dieser winterliche
Stillstand weg und die Zeit von der Saat bis zur Ernte beträgt ebenfalls
beinahe 6 Monate. Doch lassen sich, wie wir später sehen
werden, aus diesem Verhältniss nicht alle Unterschiede der Periode
erklären.
Allgemein aber entspringt für Südeuropa schon daraus ein
grosser Vorzug vor dem Norden, dass derselbe Acker dort in demselben
Jahre mehrere Früchte nach einander erzeugen kann. Schon
in den südlichen Alpenthälern, in Kärnthen, erzielt man nach der
Kornernte einen herbstlichen Ertrag von Buchweizen. In der Lombardei
sodann beruht der hohe Ertrag des Bodens nicht bloss darauf,
dass zwischen den Pflanzungen der Maulbeerbäume und den sie verknüpfenden
Weinreben auch Cerealien und andere Kulturgewächse
von noch weit längerer Entwickelungsperiode gebaut werden, sondern
erhöht sich auch dadurch, dass man mehrere Ernten demselben
Acker in einem Jahre abgewinnt. Weiterhin im Süden aber, wo die
Sommerregen der Lombardei aufhören, treten allmälig wiederum
entgpgengesetzte Bedingungen des Ackerbaus hervor, indem ihn die
trockene Jahrszeit auf ein kürzeres Zeitmaass einschränkt. Denn nur
wenige Gewächse, wie der Weinstock, können die Dürre des Sommers
ertragen. In der Gegend von Montpellier sieht man im August
kaum irgend ein anderes grünes Blatt als das Laub der Weinrebe,
die vermöge ihrer tief in den Boden dringenden Wurzeln die allmälig
immer weiter hinabsinkende Feuchtigkeit des Grundwassers aufzusaugen
und dadurch den Kreislauf ihres Saftes zu erhalten vermag.
Der Ackerbau der südlichen Gegenden und in noch höherem
Grade der des Orients ist daher, wenn er nur auf den natürlichen
Hülfsquellen der Atmosphäre beruht, auf immer kürzer werdende
1 erioden des Jahrs eingeschränkt. Die Zeit der Dürre verlängert
sich, und wenn auch in Andalusien wegen der Milde des Winters
doch noch eine längere Reihe von Monaten übrig bleibt, in welcher
die Entwickelung der Pflanzen nicht ganz unterbrochen ist, so wird
sie im Orient und auf dem Tafellande Spaniens nicht bloss durch die
trockene, sondern auch durch die kalte Jahrszeit in engere Grenzen
eingeschlossen. Beschleunigung der Bildungsprocesse ist im organischen
Leben nicht eine nothwendige Folge gesteigerterWärme;
soweit sie möglich ist, hat sie für jede Pflanze ein äusserstes Maass,
welches nicht überschritten werden kann, weil jede Phase einer bestimmten
Zeit bedarf, um die Arbeit des Wachsthums zu vollenden.
Gewächse von längerer Vegetationsperiode, wie der Reis, der Mais,
können ihre Entwickelung nicht auf vier Monate zusammendrängen,
zuletzt folgen Landschaften, wo der Anbau der Cerealien überhaupt
nicht mehr möglich wäre.
Allein diese Einschränkungen sind durch die Thätigkeit des
Menschen zu besiegen, der das fliessende Wasser des Gebirgs dem
Ackerbau dienstbar macht. Dadurch werden im Süden unendlich
viel günstigere Vegetationsbedingungen geschaffen, als wir in unserem
Norden kennen, ein weit grösseres Zeitmaass der Wärme, verbunden
mit unbegrenztem Zufluss von Wasser, wie bei uns. Dazu
kommt aber noch ausserdem, dass das fliessende Wasser ein viel
vollkommneres Nahrungsmittel für die Pflanzen ist als das atmosphärische,
weil es, durch Quellen gespeist, die löslichen Mineralstoffe
des inneren Felsgebäudes der Erde an die Oberfläche führt
und der Vegetation, mit der es in Berührung tritt, zum steten Verbrauche
darbietet. Auf diesem Austausche des Bodens, in dem die
Pflanzen wurzeln, mit den unerschöpflichen Nahrungsstoffen desErd-
innern beruht die Erhaltung des vegetativen Lebens überhaupt, hiedurch
allein ist die Fruchtbarkeit eines Landes für die entfernteste Zukunft
gesichert, die, wenn die Quellen der Ernährung auf die geringe
Erdkrume der Oberfläche beschränkt blieben, durch die Verwitterung,
den Verbrauch der Nahrungsstoffe und die schliesslicheUeberführung
derselben in unlösliche, dem Organismus unzugängliche Verbindungen
, bald im Kampf mit der unorganischen Natur unterliegen
müsste. Je mehr dagegen durch den unterirdischen Kreislauf des
Wassers die Erneuerung der Erdkrume an der Oberfläche gesichert
ist, desto reicher wird der Schatz, den die organische Natur zu heben
und auf der todten Fläche zu Bildungen zu gestalten hat, die nicht
bloss die Landschaft künstlerisch schmücken, sondern auch die
Quellen des Wohlstandes und der erhöhten menschlichen Entvvicke-
G r i s e b a c h , Vegetation der E rde . I. 2. Aufl. 17