herrschenden Gesetze zu erleichtern. Die alpine Flora ist zwischen
der Baumgrenze und der Schneelinie eingeschlossen, und da die
Kuppe des ewigen Schnees auf den Gebirgen von der tropischen
bis zur arktischen Zone allmälig in ein tieferes Niveau herabsinkt,
so war die Meinung allgemein verbreitet, dass in einem gewissen
Abstande vom Pol dieselbe den Spiegel des Meeres selbst erreiche,
und dass von diesem Punkte aus alles organische Leben aufhöre.
So weit man aber in der Folge zu den höchsten Breiten, über den
80. Grad hinaus, vorgedrungen ist, nirgends hat man den Sommer
überdauernde Schneemassen bis zur Küste herabreichend angetroffen,
sondern das Tiefland ist überall den Keimen der Vegetation
während einer gewissen Zeit frei gegeben. In Spitzbergen berühren
nur die Gletscher die Meeresfläche, die Linie des ewigen Schnees
fanden die schwedischen Naturforscherr) erst in einer Höhe von
wenigstens ioooPTiss, es bleibt also daselbst noch Raum genug
übrig, dem weidenden Rennthier 2) seine vegetabilische Nahrung zu
erzeugen. Auch in dem noch viel kälteren o Klima der Parry-Inseln,
nach dem Durchschnittsmaass der Temperatur (—13°,7 R.) einem
der kältesten s) der bekannten Erde, finden im Sommer grosse
Säugethiere2) , der Bisamstier neben den Rennthierheerdcn, hinlänglichen
Pflanzenwuchs, um diese unbewohnten Weidegründe auf-
zusuchen. Ueber der Schneegrenze der Alpen hingegen, in Höhen,
wo die mittlere Wärme des Jahrs nicht entfernt so niedrig sein kann,
ist der Gemse kaum die spärlichste Nahrung und nur da geboten,
wo an steilen Felsen der Firn nicht haften kann.
Eine Frage von höchster Bedeutung ist es daher, weshalb das
arktische Flachland vom Schnee, der in den Gebirgen dem organischen
Leben eine Schranke setzt, im Sommer sich befreit und dadurch
der Vegetation einen unbegrenzten Schauplatz eröffnet. Diese
Frage ist nicht einfach zu beantworten, es wirkt eine Reihe physischer
Bedingungen zusammen, um der arktischen Plora diesen Vorzug
vor der des Gebirgs zu verschaffen. Da die Ansammlung
dauernden Schnees nicht von der Mittelwärme, sondern davon abhänog
iog ist, wie viel der Sommer aufzuthauen vermag, so scheint die
Masse desselben zuerst in Betracht zu kommen, insofern bei gleicher
Temperatur innerhalb einer gegebenen Zeit nur eine bestimmte
Menge sich in abfliessendes Wasser verwandeln kann. Nun werden
die Gebirge, die als kältere Körper den Wasserdampf verdichten,
durchschnittlich stärker von Niederschlägen befeuchtet als die
Ebenen, und die grössere Menge des gefallenen Schnees muss daher
das Aufthauen desselben im Sommer erschweren. Wäre aber die
geringere Feuchtigkeit allein die Ursache, dass der arktische Sommer
eine vollständige Beseitigung des in den übrigen Jahreszeiten
angesammelten Schnees herbeiführt, so würde doch zuletzt ein Grenzwerth
erreicht werden, wo auch bei geringerer Feuchtigkeit die verminderte
Wärme nicht mehr genügte, denselben zu schmelzen, und
wo daher die Schneelinie bis zum Meere herabsänke. Es muss daher
ein Unterschied in der Erwärmung des Bodens liegen, der diese
Wirkungen auch in den kältesten Klimaten der Erde verhindert. Die
Wärme nun , welche der Erdboden von der Sonne empfängt, hängt
thejls von der Richtung ihrer Strahlen, theils aber auch davon ab,
in welchem Verhältniss sich dieselben über eine gegebene Grundfläche
vertheilen. Je ebener die Oberfläche sich gestaltet, desto mehr
Wärme wird jedem einzelnen Punkte zu Theil, je mehr sie gewölbt
oder unregelmässig zu schiefen Ebenen zerrissen ist, desto mehr vertheilt
sich dasselbe Maass von Sonnenstrahlen über einen grösseren
Raum, und desto geringer wird also die Gesammtwirkung. Dies ist
das Verhältniss der Gebirgsketten zu den Ebenen. Was die der
Sonne zugewendeten Abhänge gewinnen, verlieren die beschatteten,
und im Ganzen ist auf einer gegebenen Grundfläche die Erwärmung
des Schnees im Gebirge geringer als in einer Ebene. Dieselbe Som-
merwärme kann nicht dieselbe Menge in Wasser verwandeln. Dazu
kommen die langen Tage der arktischen Zone, die den Nachtheil
aufwiegen, der aus der schieferen Richtung der Sonnenstrahlen entspringt.
Da die Tageslänge im Sommer mit wachsender Breite um
so grösser wird, bis am Pole selbst zuletzt die Nächte ein halbes Jahr
hindurch ganz verschwinden, so werden auch hiedurch die Unterschiede
der geographischen Lage in der arktischen Zone vermindert.
Und da die Abplattung der Erde bewirkt, dass in den hohen Breiten
jenseits des Polarkreises die schiefe Richtung der Sonnenstrahlen
sich wenig mehr ändert, so treffen alle diese Momente in demselben
Ziele zusammen, ein so gleichartiges Klima zu schaffen, wie es in
der Schneelosigkeit des Erdbodens während des Sommers und in
der übereinstimmenden Vegetation des Tieflandes uns entgegentritt.
Indessen sind die Unterschiede der Sommerwärme in verschiedenen
Gegenden des arktischen Gebiets so bedeutend, dass Zweifel
entstehen möchten, ob nicht jenseits der erforschten Polarländer der
Schnee doch endlich auch am Ufer des Meeres sich erhalten müsste.
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. I. 2. Aufl.