228 X I I . Waldgebiet des westlichen Kontinents.
zu bauen, fehlgeschlagen sind, so ist im Meridian des Mackenzie der
65. Parallelkreis als Polargrenze der Ackerkultur zu betrachten.
Richardson meinte, dass der Getraidebau im hohen Norden nur eine
bestimmte Sommerwärme in Anspruch nähme und die Strenge des
Winters ihn nicht beeinträchtige: aber an der Lena ist der Sommer
viel wärmer als am Mackenzie, und doch ist die Getraidegrenze dort
um drei Breitengrade zurückgetreten, statt dass sie nach Maassgabe
der Juliwärme um sechs Breitengrade weiter nach Norden rücken
sollte12). Maassgebend sind hier die Einwirkungen der gefrorenen
Erdschichten, die in dem lockeren Boden Sibiriens zu viel grösseren
Tiefen reichen als am Mackenzie, wo die anstehenden granitischen
Gesteine die Ansammlung des unterirdischen Eises beschränken.
Weil die Masse desselben in Sibirien so viel grösser und weit unter
den Gefrierpunkt abgekühlt ist, thaut es minder tief auf als in
Amerika. Nach Erman waren die Ackerfelder bei Jakuzk im Sommer
nur bis zu einer Tiefe von 3 Fuss vom Eise befreit, unter derselben
Polhöhe am Mackenzie hat die aufgethaute Schicht eine Stärke
von beinahe 11 Fuss. Eine dem Gefrierpunkte nahe liegende Bodenwärme
wirkt, soweit die Wurzeln des Getraides ihr ausgesetzt sind,
noch unmittelbarer auf die Dauer der vegetativen Entwickelung als
die Werthe der Sommer- oder Juliwärme.
Am Saskatchawan berühren sich die Prairiën unmittelbar mit
der Waldzone der weissen Tanne. Jenseits der Rocky Mountains
senkt sich die Prairieengrenze bis zum Cascadengebirge [490—48°
N. B.] I3) , der nördlichen Fortsetzung der Sierra Nevada, und so
sind die Waldzonen des Westens und Ostens in diesen Breiten durch
einen weiten Zwischenraum baumloser Ebenen von einander abgesondert.
Aber auch ihre klimatischen Verhältnisse sind nicht übereinstimmend.
Der Uebergang von den nordischen Wäldern zu den
südlicher gelegenen Zonen beruht in Newfoundland auf der minder
strengen Winterkälte, in Kanada auf der zunehmenden Sommerwärme
und im fernen Westen der pacifischen Küste auf der gleich-
mässigen Milde beider Jahrszeiten. In seiner Reinheit ist indessen
dieses, von starken Niederschlägen **) in allen Jahrszeiten begleitete
Seeklima nur an der Küste selbst, von der Insel Sitcha und vielleicht
von Alaska bis zur Mündung des Oregon (46° N. B.) ausgebildet5).
Auch hier bilden Nadelhölzer eine dichte Waldbekleidung, Bäume
von ungewöhnlicher Grösse, besonders eine Reihe verschiedener
Tannen13), die Douglas-, die Menzies- und die Schierlingstanne
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[Pinus Douglasii, Menziesii, Mertensiana), sodann die Oregon-Ceder
oder gelbe Cypresse (Thuja gigantea). Doch sind auch Laubhölzer
diesen Wäldern nicht ganz fremd, Ahorne, Pappeln, Erlen und
eine der deutschen ähnliche Eiche [Q. Garryana). EineStammhöhe
von 200 bis 250 Fuss ist bei der Douglastanne keine ungewöhnliche
Erscheinung: sogar Bäume von mehr als 300 Fuss soll man gemessen
haben15). Die offene, den häufigen Weststürmen ausgesetzte Lage
dieser Küste, in Verbindung mit der beständigen Feuchtigkeit des
Klimas, bewirkt in diesen Urwäldern ein frühzeitiges Stützen der
BäumeIO). Mit gefallenen, alten und jungen Stämmen ist der Boden
oft so dicht bedeckt, dass man an die Bildungszeit der Kohlenformationen
erinnert wird. Ein Reisenderl6) sagt von diesen Gegenden,
dass die nordamerikanische Natur mehr durch ihren grossartigen
Maassstab in Erstaunen setze, als durch Anmuth fesseln könne, wenn
es auch am Wechsel des Waldes mit Wasserflächen und Gebirgslinien
nicht fehle und die Färbung der Landschaft lebhaft und mannigfach
sei. Die Grösse der Ströme, die Ausdehnung der Gebirge, selbst
der höhere Wuchs der Bäume an diesen Küsten scheint, mit Europa
verglichen, der einförmigeren Bildung des Festlands zu entsprechen.
Wenigstens aus klimatischen Ursachen lässt sich das mächtige W achs-
thum der Douglastanne, der die Oregon-Ceder und andere Coniferen
wenig nachstehen, nicht genügend erklären. Es ist eine Eigentümlichkeit
dieser westlichen Vegetationscentren, die von den Welling-
tonien der Sierra Nevada noch übertroffen wird. Die südlichen
atlantischen Staaten empfangen ebenso starke Niederschläge und
haben doch solche Bäume nicht aufzuweisen. Der höchste Baum des
Ostens ist die Weihmuthskiefer (.P . Strobus), sie wird nicht grössei
als die Fichte Europas (xoo—140 Fuss). Aber die Feuchtigkeit des
Küstengebirgs und die gleichmässige Milde der Temperatur sind für
das hohe Wachsthum der Nadelhölzer auch nicht einmal notwendig,
zum Theil verbreiten sie sich bis zu den Rocky Mountains, wo das
Klima völlig geändert ist. _
Sobald man das Cascadengebirge überstiegen hat und die Wälder
des inneren britischen Kolumbiens erreicht, tritt dieser Wechsel
des Klimas bereits ein. Es beginnt nun sogleich der kontinentale
Gegensatz der Jahrszeiten , die hohen Küstenketten bewirken , dass
nicht, wie in Europa, der Einfluss des Meers sich über das Tiefland
ausbreitet. In den Wäldern am Kolumbia dauert die Vegetationszeit,
die Periode von der Belaubung bis zum Blattfall, vom April bis