XVIII.
HYLAEA, GEBIET DES AEQUATORIALEN
BRASILIENS.
Klima. Der Amazonenstrom ist, als der grösste Fluss der
Erde1), bestimmt, die Einflüsse zum höchsten Maasse zu steigern,
welche das fliessend bewegte Wasser in einem äquatorialen Klima
auf die Vegetation ausüben kann. Während wir in unserer gemässigten
Zone die Flussthäler von Wiesengründen begleitet sehen,
rücken unter den Tropen die Wälder bis an den Wasserspiegel und
verdrängen jeden unbeschatteten Pflanzenwuchs. Von holzigen Ufergewächsen
ist nur die Weidenform allen Breitengraden gemeinsam:
auch an den Strömen Südamerikas wird sie gelegentlich angetroffen2).
Bei den Wiesengräsern theilt sich die jährliche Arbeit in die Erneuerung
der Blätter und in die Aufspeicherung der Nahrungsstoffe
in unterirdischen Organen, ihr Haushalt gleicht dem der tropischen
Savanen darin, dass ihre Vegetation eine periodische Unterbrechung
des Wachsthums erfordert, weil ihre schwachen Halme nur eine geringe
Grösse erreichen können und dann, nachdem sie die Samen
gereift haben, absterben. Die Gleichmässigkeit der tropischen Wärme
gestattet dagegen eine unausgesetzte Entwickelung, vorausgesetzt,
dass der Zufluss der Feuchtigkeit zu den Wurzeln nicht unterbrochen
wird, mag dieser nun aus stetig wiederholten Niederschlägen oder
aus fliessendem Wasser herrühren. Unter solchen Bedingungren
kann nichts der Ausbreitung der Bäume widerstehen, deren vegetative
Kraft am grössten und deren Wachsthum seiner Dauer nach
unbeschränkt ist. Mit der Grösse des Flusses steht der Umfang der
V älder am Amazonas im Verhältniss und eben wegen ihrer weiten
Jahrszeiten am obern und untern Amazonas. 357
Ausdehnung hat Humboldt ihrem Gebiete den Namen Hylaea gegeben.
Hier vertheilen sich die Phasen der Entwickelung, wie sie
durch die Blüthezeit der einzelnen Gewächse in die Erscheinung
treten, über das ganze Jahr. Die einzelnen Arten verhalten sich aber
in dieser Beziehung ungleich, und einem Botaniker, bemerkt Spruce3),
»der nur einen einzigen Monat des Jahrs unbeschäftigt wäre, würden
dadurch jedesmal einige Bäume entgehen«. Eine Periodicität des
Pflanzenlebens ist also doch auch hier vorhanden und, um sie zu
erklären, sind mehrere Fragen zu unterscheiden oder in ihrem Zusammenhänge
zu untersuchen. Sind diese ungleichen Wachsthumsphasen
nur in der Organisation begründet oder auch hier von einem
Wechsel der Jahrszeiten, also des Klimas begleitet? oder ist es nur
der nach periodischen Regenfällen steigende und sinkende Stand des
Stromspiegels und die davon abhängige Vertheilung des Grundwassers,
worauf die geordnete Reihenfolge der Bildungen beruht?
Obgleich man auch in den Wäldern des Amazonas besondere
Regenperioden unterscheidet, so werden doch fast nirgends die
Niederschläge in dem Grade unterbrochen, dass das Wachsthum
der Pflanzen dadurch vollständig gehemmt werden könnte. Aber
die einzelnen Abschnitte des Stromlaufs verhalten sich klimatisch
doch sehr ungleich, die Mündung des Rio Negro ist ein Wendepunkt,
und je mehr man sich, den Fluss aufwärtsfahrend; den
peruanischen Anden nähert4), desto feuchter wird die Luft. Da der
ganze Thalweg in einem weiten Tieflande liegt5) und die Nähe des
Aequators (o°—50 S. B.) nicht verlässt, so sind diese Unterschiede
zwischen dem Osten und Westen in der Dauer sowohl als in der
Intensität der Niederschläge ein Problem , welches zu einer näheren
Untersuchung auffordert. Unter besonderen Bedingungen wiederholt
sich hier im Inneren des Festlandes eine ähnliche Erweiterung
der Regenperioden wTie in Sudan. Der äquatoriale Kalmengürtel
des Meers, der eine gewisse Gleichmässigkeit der Erwärmung voraussetzt
, lässt sich auf den Kontinenten nur da naclrweisen, wo ein
hinlänglicher Spielraum zu ununterbrochen aufsteigenden Luftströmungen
gegeben ist: denn durch Aenderungen der Temperatur, auch
wenn sie nicht erheblich sind, werden dieselben zu periodischen Erscheinungen.
Im Inneren des Festlandes entstehen auf wagerechten
Grundflächen von grosser Ausdehnung Wärmecentren gleich den
Kalmen des Meers, welche aber hier nach allen Seiten aspirirend
wirken, nicht bloss nach Norden und Süden, sondern auch in der