europäischen Küstenländern besteht. Die Grundsätze, welche uns
hier wie in allen ähnlichen Fällen leiten, und die den Zweck haben,
. ein natürliches Gesammtbild von der Vegetation irgend eines Raums
auf der Erde , mag er gross oder klein sein , entwerfen zu können,
stehen jedem Versuche dieser Art entgegen, sofern von Frankreich
bis Kamtschatka sich nirgends die Physiognomie der organischen
Natur in erheblichem Grade geändert zeigt und der Wechsel., den
der allmälige Uebergang vom See- zum Kontinentalklima hervorruft,
nicht sowohl auf neuen Formen und Formationen, als auf den in
stetiger Reihe auftretenden und schwindenden systematischen Be-
standtheilen der Flora beruht. Ein sehr anschauliches Bild von dp
Uebereinstimmung des landschaftlichen Charakters im äussersten
Osten Sibiriens mit dem europäischen liefern die Vegetationsansichten
aus Kamtschatka von Kittlitz J . Dieser Reisende bemerkt, dass sich
daselbst die Physiognomie des mittleren und nördlichen Europas
weit vollständiger wiederhole als man bei dem grossen Längenunterschiede
erwarten sollte ; auch sei die Menge europäischer Pflanzenarten
sehr beträchtlich. Die Ebenen und die Abhänge der Gebirgszüge
sind grossentheils mit herrlichen Wäldern bedeckt, diese von
üppigen Waldwiesen unterbrochen. Wie unter den Laubhölzern des
skandinavischen Nordens ist die Birke der vorherrschende Waldbaum
, aber in der Mitte der Halbinsel erstreckt sich querüber ein
Streifen von Nadelholzbeständen, in denen die Formen der Tannen
und Lärchen vertreten sind, in deren Unterholz ein Reichthum
beerentragender Gewächse sich birgt, gerade wie in Skandinavien
und aus denselben Arten, wie hier, zusammengesetzt. Selbst die
Weidengebüsche, welche die Moräste des westlichen Kamtschatka
begleiten, erinnern an die Bekleidung der Sümpfe in Russland.
Zu einem abweichenden Ergebniss aber führt die Vergleichung
Sibiriens und Europas, wenn man nicht die Physiognomie der Natur,
sondern die systematischen Bestandtheile der Flora der Vergleichung
zu Grunde legt. [Zwar ist der Antheil übereinstimmender Arten bis
zum fernsten Osten noch immer erheblich zu nennen, aber doch nicht
grösser als zwischen den Amur,-Landschaften und dem nordwestlichen
Amerika. Ich glaube die Zahl europäischer Arten im östlichen
Sibirien auf mehr als 30 Procent der Gesammtsumme von Gefäss-
pflanzen schätzen zu dürfen 2). Berücksichtigt man aber hiebei, dass
nach den Untersuchungen Asa Gray’s 3) fast 15 Procent der in den
nordöstlichen Vereinigten Staaten einheimischen Gewächse auch in
Europa Vorkommen, also das ganze Waldgebiet beider Kontinente
bewohnen, so ist es klar, dass in der Richtung von Westen nach
Osten das Auftreten und Verschwinden der Arten in einer allmälig
wachsenden Reihe vor sich geht, dass die Uebereinstimmung und
Verschiedenheit der Flora nur von der Grösse des geographischen
Abstandes abhängt. In den weiten Tiefländern, aus denen diese
Waldzone grösstentheils besteht, ist die Wanderung der Pflanzen
fast nirgends durch mechanische Hindernisse gehemmt, und wie die
klimatischen Linien, welche die Gegensätze des See- und Kontinentalklimas
bezeichnen, in stetiger Reihe auf einander folgen, so sind auch
die einzelnen Gewächse nach ihrer Receptivität gegen diese Einflüsse
in stetig fortschreitendem Wechsel geordnet. Die kräftigsten und
vom Klima unabhängigsten Organisationen gehen am weitesten, die
europäische Kiefer bis zum östlichsten Theil von Sibirien. Je mehr
die Lebenssphäre der einzelnen Arten im Kampfe mit der unorganischen
und organischen Natur durch einen zarter angelegten Bau beengt
wird, desto weniger entfernen sie sich von ihrer ursprünglichen
Heimath. Da alle diese Verhältnisse durch Uebergänge vermittelt
sind, so wäre eine klimatische Eintheilung des Kontinents in abgesonderte
Florengebiete ganz willkührlich und unzulässig, bis zu welchem
Grade auch die Ungleichheit der Erzeugnisse in entfernt von
einander gelegenen Landschaften anwachsen mag. Um das Charakteristische
in dieser Mannigfaltigkeit darzustellen, kann man daher
nur einzelne Gewächse oder Gruppen von Arten benutzen, sofern
sich in ihnen ein bestimmtes Moment der physischen Lebensbedingungen
darstellt, und diese Auffassung hat zu dem Begriffe der
Vegetationslinien4) geführt, nach denen sich die europäisch-sibirische
Flora klimatisch gliedert.
Dieser Begriff hat in den Tiefländern der Erde dieselbe Bedeutung
wie die Unterscheidung der Regionen in den Gebirgen, die
dazu dient, deren Vegetation geordnet darzustellen, eine Aufgabe,
die von Humboldt und Wahlenberg zuerst naturgemäss durchgeführt
wurde. Die Regionen sind durch klimatische Grenzwerthe bestimmt.
Jede Pflanze ist an ein bestimmtes Maass von Wärme gebunden, ihre
Höhengrenze liegt, wo dieses nicht erreicht oder überschritten wird.
Aber nur da sind die Regionen scharf gesondert oder gewähren eine
anschauliche Grundlage der Darstellung, wo die Physiognomie der
Gebirgslandschaft sich plötzlich durch eine neue Bildungsweise der
vegetativen Organe ändert, wo z. B. Laub- und Nadelhölzer sich