der Schnee auch im Niveau des Meers zusammenweht und dessen
Masse zu gross wird, um aufzuthauen. Nach den Unebenheiten des
Bodens, so geringfügig sie sein mögen, scheiden sich die nassen und
trocknen Tundren oft schon auf engbegrenzten Räumlichkeiten. So
fand Baer2ß) auf der Halbinsel Kola, dass die Lichenentundra zuweilen
von Streifen der Moostundra wie von Adern durchzogen wurde:
denn überall, bemerkt e r, wo das Schneewasser abfliesst und den
Boden einreisst oder durchweicht, wechseln mit dem dürren Boden
der Lichenen die schwankenden Mooslager, wo man ausser einigen
Seggen und der Moltebeere [Rubus chamaemorus) wenig andere
Pflanzen erblicke. Die amerikanische Lichenentundra enthält an
Nebenbestandtheilen die Zwergs trän eher5). Wo aber das anstehende
Gestein fehlt, hat der Wasserabfluss auch im Innern der Tundra
einen günstigeren Einfluss. Je trockener der Erdboden im Taimyr-
lande wird, desto mehr verschwinden die Moose, und die sie begleitenden
Gewächse (hier eine Juncee und Wollgräser) werden häufiger,
jedoch ohne den Boden vollständig zu bedecken : denn ihre Mannigfaltigkeit
ist zu gering, weil die Früh- und Spätfröste die meisten
Pflanzen von der ebenen und deshalb der Wärmestrahlung stärker
unterworfenen Tundra verbannen. Von dem bräunlichen Moose,
dem Polytrichum, sagt Middendorfs), stechen die abgestorbenen
gelben Grasspitzen wenig ab, und nur unrein, wie durch einen Flor,
schimmert der grüne, sprossende Theil des Rasens hervor. Auf den
unmerklich tieferen Stellen der Tundra, wo das fliessende Frühjahrswasser
seinen Weg nimmt, wo der fortwährende Wechsel desselben
den Boden frühzeitiger und tiefer aufthaut, gewinnt das Gras und
ein frischeres Grün die Oberhand, die Halme werden länger und
stehen dichter, ein Rasen von 3 bis 4 Zoll Höhe verdrängt auf den
Hümpeln, die er sich aufbaut, das Moos , das nur in den zwischenliegenden
Gängen sich erhält. Dieser immerhin ärmliche Teppich
ist hier und da auch mit Blumen verziert (z. B. Dryas, Andromeda),
seltener wird er im Taimyrlande von Erdlichenen durchbrochen.
Middendorff klärt hier einen scheinbaren Widerspruch zwischen seinen
Beobachtungen und denen Baer’s auf, der auf Nowaja Semlja
gerade an solchen Stellen eine üppigere Vegetation bemerkte, die
von dem Schneewasser, welches den Sommer hindurch von den
Höhen herabfliesst, nicht erreicht wurden. Die Wirkung des fliessenden
Wassers verhält sich nämlich im Frühjahr und Sommer entgegengesetzt.
Anfangs tragen die Gewässer bei, den Boden über den
Tundren. 53
Gefrierpunkt zu erwärmen und die Vegetation zu beleben, späterhin
dagegen werden Bäche , welche Schneewasser führen , ihre Umgebungen
verhindern, die höhere Temperatur anzunehmen, welche der
dann gesteigerten Insolation entspräche. Daher entgegengesetzte
Wirkungen im ebenen Taimyrlande, wo der rasch geschmolzene
Schnee nur im Frühlinge die Tundra bewässert, und auf einer Ge-
birgsinsel, von deren Firnen und Gletschern den ganzen Sommer
hindurch die Bäche mit Wasser gespeist werden, welches eisig kalt
ist. Aber auch im Taimyrlande selbst, wo die Feuchtigkeit des Sommers
vom unterirdischen Eise stammt, ist Moosvegetation die allgemeine
Bekleidung der Tundra, und die Entwickelung von Stauden
und Gesträuch findet nur da statt, wo der Abfluss des Wassers im
Frühling den Erdboden zu grösserer Tiefe aufgethaut hat.
Die Lichenentundra ist für das Thierleben verhältnissmässig
weit günstiger als die des Polytrichum. Die Lichenen selbst schon
gewähren ihm Nährstoffe, was bei den Moosen nicht der Fall ist.
Das arktische Amerika wird auch im Winter von Rennthierheerden,
und sogar von dem Bisamstier bewohnt, der daselbst ausharrt, ohne
die Wälder zu betreten3). Ungeachtet seines grossen Nahrungsbedürfnisses
hat er an den unter dem Schnee verborgenen Ueber-
bleibseln der Vegetation sein Genügen. Da der Winter, bemerkt
Richardson, ganz plötzlich eintrete, so werde dadurch der wichtige
Zweck erreicht, die Säfte der Gräser und anderer Gewächse im Gewebe
festzuhalten und zu erstarren, so dass sie bis zum kommenden
Jahre ihre nährenden Eigenschaften, auch ihre Früchte und Samen
bewahren, ohne dass die Organe herbstlicher Fäulniss oder dem Verdorren
im Winter preisgegeben sind. Die beerentragenden Zwerg-
sträucher der Tundra, die Vaccinien und Empetrum, die hier im
Ueberfluss zwischen den Erdlichenen wachsen, bieten ihre Früchte
im Herbste dem Bären und den vorüberziehenden Polargänsen und
erhalten sich später in völlig unverändertem Zustande unter dem
Schnee, bis der Boden in den Sonnenstrahlen des Sommers trocken
wird und nun sofort die neuen Blüthen sich entfalten.
Aus dem arktischen Sibirien ziehen sich die Säugethiere mit
dem Sommer zurück und berühren' auch dann die Polytrichum-
Tundra nicht, wo sie keine wirkliche Grasnarbe finden. Hier suchen
die Rennthiere die tiefer gelegenen Gründe am Ufer der Seen und
Flüsse auf, die in Nordsibirien mit dem Namen Laidy bezeichnet
werden. Eine solche Niederung begleitet den Taimyrfluss und wird