II.
WALDGEBIET DES OESTLICHEN KONTINENTS.
Klima. Diesseits der öden Polarwüste, wo das Eis und die
langen Nächte der Vegetation das Wachsthum streitig machen, um-
giebt ein breiter Waldgürtel den ganzen Umkreis der nördlichen
Hemisphäre. Von diesen Wäldern sind, ehe sie bewohnt waren,
beide Kontinente, der östliche wie der westliche, in höheren Breiten
gleichmässig bedeckt gewesen. Erst die Kultur hat den Waldboden
von den atlantischen Küsten aus gelichtet. In Europa, wo die her-
cynischen Wälder den Römern ein ähnliches Naturbild boten, wie
die kanadischen heutzutage den Ansiedlern des Westens, ist diese
Umgestaltung der ursprünglichen Vegetationsverhältnisse längst zu
einem gewissen Abschlüsse gelangt und hat im Norden und Osten an
der Ungunst des Klimas ihre Schranke gefunden. In unseren Zeiten
wiederholen sich dieselben Vorgänge im Waldgürtel Nordamerikas
und geben uns eine deutliche Vorstellung von dem, was Europa einst
gewesen ist. In den grossen Wäldern Sibiriens und des britischen
Amerikas, in den Jagdgebieten derPelzthiere, hat sich der ursprüngliche
Charakter der Vegetation rein erhalten, und hier ist daher
klarer der Umfang ihrer Lebensbedingungen zu erkennen, als wenn
wir von den Kulturländern selbst ausgehen wollten. Denn die Vortheile,
welche die genauere und umfassende Erforschung ihrer Flora
verheisst, kommen mehr der topographischen Zeichnung des Pflanzenlebens
zu Gute als dem Streben, den Zusammenhang von Klima
und Vegetation von allgemeineren Standpunkten aus zu würdigen.
In südlicher Richtung ist dieser nordische Waldgürtel fast überall
durch schroffe klimatische Uebergange ebenso fest bestimmt und
abgeschlossen, wie im Norden durch die Baumgrenze und den Ackerbau.
Im Inneren beider Kontinente treffen wir auch hier in weiter
Erstreckung auf eine andere, eine südliche Grenze des Baumlebens,
wo die Steppen Asiens und Russlands , die Prairieen Nordamerikas
beginnen. Aber auch gegen die Westküsten hin, wo das Seeklima
günstiger einwirkt, am mittelländischen Meer und in Kalifornien,
ändert sich der Vegetationscharakter in seinen Hauptzügen, sobald
bestimmte klimatische Linien überschritten werden, und so sind es
nur die beiden östlichen Abschnitte der Waldzone, die Landschaften
des Amurgebiets und die südlichen Staaten Nordamerikas, wo der
Uebergang von höheren zu niederen Breiten sich allmäliger abstuft.
Den ganzen nördlichen Waldgürtel als ein einziges Vegetations-
a-ebiet gleich dem arktischen aufzufassen, könnte man geneigt sein,
wenn man die zahlreichen Analogien erwägt, welche den östlichen
mit dem westlichen Kontinent verbinden, wie ja auch gleichartig
hier wie dort die Civilisation auf denselben natürlichen Grundlagen
sich zu entwickeln scheint. Aber gerade die Küstenländer zu beiden
Seiten des atlantischen Meers, welche zunächst zu solchen Vergleichungen
auffordern, sind in ihrem Vegetationscharakter viel bestimmter
von einander abgesondert als dies irgendwo in den waldlosen
Gegenden der Polarzone der Fall ist. Die zunehmende Breite
des Meers und die klimatischen Gegensätze der Lage, die durch die
Richtung des Golfstroms erhöht werden, stehen der Vermischung
der vegetabilischen Erzeugnisse beider Kontinente entgegen. Sind
nun zwar am stillen Meere die Verschiedenheiten der Flora weniger
durchgreifend, so wird doch auch hier durch das Herabsinken der
Baumgrenze bis zum vierundsechzigsten Breitengrade die Grösse des
maritimen Abstandes von Asien zu Amerika bedeutend erweitert und
dadurch der Austausch der beiderseitigen Vegetationscentren innerhalb
des Waldgebiets erschwert. Aus diesen Gründen erscheint es
naturgemäss, die Zone der Wälder nicht wie die V egetation der
Polarländer als ein Ganzes zusammenzufassen, sondern sie im östlichen
und westlichen Kontinent abgesondert zu betrachten.
Eine viel schwierigere, ja in gewissem Sinne unlösbare Frage
ist es, ob das Waldgebiet des östlichen Kontinents sich in enger begrenzte,
natürliche Floren theilen lasse. Nicht bloss die Reihenfolge
der Klimate von Lappland bis zu den Alpen und Pyrenäen scheint
dazu aufzufordern, sondern in weit höherem Grade der noch viel
grössere Gegensatz, der zwischen dem Inneren Sibiriens und den