herrscht zwischen dem arktischen Europa und Asien; nach und nach
wachsen die Unterschiede, wenn man zum westlichen, dann zum
östlichen Nordamerika übergeht. Labrador und der arktisch-amerikanische
Archipel bilden daher zu dem Samojedenlande den verhält-
nissmässig grössten Gegensatz.
Die Gesammtsumme der in der arktischen Flora nachgewiesenen
Gefässpflanzen schätze ich auf 700 Arten +6) , unter denen, da
die Mehrzahl auf das arktische oder alpine Klima nicht beschränkt
ist, kaum 300 als charakteristisch zu bezeichnen wären. Da ferner
diese letzteren meistentheils in der alpinen Region der Waldgebiete
wiederkehren , so bleiben für die arktische Flora nur etwa 20 endemische
Gewächse47) übrig. Hiernach könnte man geneigt sein, derselben
die Vegetationscentren überhaupt abzusprechen, indem es ja
möglich wäre, dass auch diese geringe Anzahl von eigenthtimlichen
Pflanzen auf südlicheren Gebirgen noch aufgefunden würde. Diese
Ansicht hat Christ48) zu begründen versucht und den Ursprung der
arktischen Flora hauptsächlich von den Gebirgen des nördlichen
Asiens abgeleitet. So lange indessen jene endemischen Pflanzen der
arktischen Flora ausserhalb ihres Gebiets nicht nachgewiesen sind,
müssen selbständige Ausgangspunkte der Wanderung innerhalb desselben
angenommen werden, sowie es auch der Analogie entspricht,
dass solche Wanderungen auf dem Festlande in entgegengesetzten
Richtungen stattfanden. Aber auch hiervon abgesehen sind in der
Anordnung der arktischen Pflanzen selbst mehrere Momente enthalten,
welche schliessen lassen, dass ein Theil derselben in den hohen
Breiten Asiens und Amerikas entstanden ist.
Hooker«) entwarf eine Liste derjenigen arktischen Pflanzen,
deren Wohngebiet sich von Europa durch Asien und Amerika über
alle Meridiane bis Grönland erstreckt: von solchen circumpolaren
Arten zählt er 85. Fast alle diese Gewächse bewohnen auch niedrigere
Breiten in Asien, der grösste Theil48) die alpinen Regionen der
altaischen Gebirgszüge, die übrigen das Waldgebiet, aus welchem
sie in die arktische Flora eintreten. Wenn sie sich durch die Meeresströmungen
längs des Eismeers und zu dessen Inseln verbreiteten,
so ist hier die Richtung ihrer Wanderungen gegeben, nicht aber auf
dem Festlande, wo dieselben ebenso wohl vom Eismeer zum Altai
als in entgegengesetztem Sinne erfolgen konnten. Nun lassen sich
in manchen Fällen zwei Formen der Anordnung und dadurch die
ursprünglich arktischen von den alpinen unterscheiden, indem entweder
die circumpolare oder die Verbreitung in den alpinen Regionen
überwiegt. Finden sie sich nur sporadisch auf gewissen Gebirgen
, während sie im Polarbecken allgemein auftreten, so muss auf
ihren Ursprung in hohen Breiten geschlossen werden. Zwei monotypische
Gattungen können als Beispiele dieses Verhältnisses dienen.
Die in dem Bau ihrer Blüthe anomale Ericee Diapensia findet sich
sporadisch auf den norwegischen Fjelden, auf dem Altai, denRocky-
und den White Mountains; im Polarbecken gehört sie zu den häufigsten
Erscheinungen, in den entlegensten Meridianen: wenn man
hier ihren Ursprung voraussetzt, ist es bei einer so grossen Wan-
derüngsfähigkeit leichter zu begreifen, dass sie sich in den Gebirgen
nicht allgemeiner verbreitet und nicht bis zu den Alpen und bis zum
Himalaja gelangt ist. Die Polygonee Koenigia, ebenfalls circum-
polar, ist auf den Gebirgen Asiens zwar bis zum Himalaja nachgewiesen,
aber in Europa nur auf einige Standorte der skandinavischen
Fjelde beschränkt. Ueberhaupt verdienen bei der Untersuchung
über die Vegetationscentren die monotypischen Gattungen eine viel
sorgfältigere Berücksichtigung als die endemischen Arten. Bei den
letzteren ist die Frage, ob ihre Organisation nur durch den allmälig
wirkenden Einfluss des Klimas verändert und von Arten anderer
Gegenden abzuleiten sei (klimatische Varietäten) , häufig nicht so
sicher zu entscheiden, dass im einzelnen Falle eine allgemeine Anerkennung
von Seiten der Systematiker erreicht werden kann. Wo
aber der Bau der Blüthe ein so eigenthümlicher ist wie bei den meisten
monotypischen Gattungen, kann keine Meinungsverschiedenheit
darüber stattfinden, dass eine Kraft, sie zu erzeugen, gewirkt habe,
die aufzuklären unsere Erfahrungen über die Variabilität der Arten
nicht genügen. Ich finde nun in der arktischen Flora die für ihre geringe
Mannigfaltigkeit ungemein hohe Zahl von 10 monotypischen
Gattungen, die grösstentheils nur sporadisch in niedrigeren Breiten
wiederkehren. Rein endemisch ist eine Graminee [Pleuropogon), die
bis jetzt nur auf den Parry-Inseln beobachtet wurde. Beinahe endemisch
kann man ferner eine Caryophyllee (Merckia) nennen, die
vom nordwestlichen Theil des arktischen Amerikas bis zur Kolyma
im östlichen Sibirien vorkommt und südwärts nur bis Kamtschatka
verbreitet ist. Diese beiden Gewächse sind also für die westlichen
Vegetationscentren des Polarbeckens bezeichnend, als deren Ostgrenze
die Scheidung der beiden arktischen Meeresströmungen am
Tschuktschenlande betrachtet werden kann. Denn an diesen Küsten,
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. I. 2. Aufl.