Polargrenze der lappländischen Wälder auf drei und dehnt sich im
Seeklima von Bordeaux über acht Monate ausI2). Dies ist das’
äusserste Maass des Wechsels der Entwickelungsperiode, dem sich
ein Baum wie die Kiefer anzubequemen hat. Und dennoch liegt
einer so grossen Ungleichheit der Lebensbedingungen, wie ich schon
vor dreissig Jahren gezeigt habe *3). ein gemeinsames klimatisches
Moment zu Grunde, eine nahezu gleiche Mitteltemperatur der Vegetationszeit
(die P h y to iso th e rm e ) . Die Mittelwärme der drei
Sommermonate von Jakutsk (i3°,2) ist fast dieselbe wie die der acht
Monate der Entwickelungsperiode zu Bordeaux (130, g). So sehr
wird das Wärmemaass des See- und Kontinentalklimas, welches den
Gewächsen während ihrer Vegetationszeit zu Gebote steht, durch die
ungleiche Dauer ihrer Entwickelung ausgeglichen. Seit ich diese
Thatsache nachwies, deren Begründung und Beurtheilung nach den
gegenwärtig vorliegenden Messungen freilich mancher Berichtigung
bedürfen würde, hat sich dennoch in dem Umfange des Waldgebiets
nur eine einzige wesentliche Beschränkung ihrer Allgemeingültigkeit
ergeben. Diese besteht darin, dass an den Polargrenzen des Baum-
wuchses jene Mittelwärme nicht erreicht wird. Die Vegetationszeit
von Alten in Lappland dauert zwar ebenso lange wie an der Lena,
aber die Mittelwärme dieser Periode ist fast um vier Grade geringer
(9°,5 R.). Aus dieser Abweichung, die doch dem Spielraum der
Isothermen und anderer Wärmewerthe gegenüber nicht beträchtlich
erscheint, darf man zu schliessen geneigt sein, dass es die in der
arktischen Zone vergrösserte Tageslänge ist, welche hier während
des Sommers eine noch stärkere Beschleunigung der Bildungs-
processe veranlasst als in dem Kontinentalklima von Jakutsk, das
acht Breitegrade südlicher liegt, und wo die Sommertage daher
schon bedeutend kürzer sind. Liesse 'sich diese Auffassung, auf
welche wir später zurückkommen, schon jetzt durch vergleichende
Beobachtungen über den täglichen Gang des Wachsthums fester begründen,
so wäre das wichtigste Verhältniss zwischen der Wärme
und der Vegetation doch noch im ganzen Gebiete der europäischsibirischen
Flora übereinstimmend, dasselbe Durchschnittsmaass der
Temperatur während einer Entwickelungsperiode von ungleicher
Dauer. Aber nur gewissen Pflanzen könnte diese Bedingung genügen,
die eine Fähigkeit voraussetzt, von den Schwankungen der
Wärme sowohl als von der Dauer ihrer Einwirkung in so hohem
Grade unabhängig zu sein. Zahlreiche Vegetationslinien sind daher
der Ausdruck der engeren Lebensbedingungen, an welche die meisten,
einheimischen Gewächse gebunden sind.
Wenden wir uns von den allgemeinen Temperaturbedingungen
des Waldgebiets zu dem Wasserbedürfniss der Bäume, so wird dieses
dadurch erfüllt, dass während der ganzen Vegetationsperiode der
Erdboden von genügender Feuchtigkeit ununterbrochen getränkt ist.
So lange das Wachsthum der Pflanzen fortdauert, muss eine stetige
Saftströmung von den Wurzeln bis zu den Blättern stattfinden, die
das Wasser durch Verdunstung wieder entfernen, sofern es nicht
selbst zur Ernährung dient. Dieser Wasserstrom ist nothwendig, um
die Nährstoffe des Erdbodens dem Laube zuzuführen, wo sie mit
der atmosphärischen Kohlensäure in chemische Wechselwirkung
treten, wo das Unorganische, um im lebendigen Gewebe verwendet
zu werden, sich zu organischen, bildungsfähigen Verbindungen umgestaltet.
Das Maass des hiezu erforderlichen Wassers ist von der
Grösse des Gewächses abhängig, nach dem Durchschnittswerthe
von Haies beträgt es in 24 Stunden so viel wie das halbe Gewicht
der ganzen Pflanze, und die Bäume haben daher als hydraulische
Maschinen eine erstaunliche, kleinere Organismen weit übertreffende
Leistungsfähigkeit. Da im Verhältniss zu diesen Massen nur verschwindend
wenig zur Ernährung verwendet wird, so steht die Aufsaugung
des Wassers durch die Wurzeln mit der Abgabe aus den
Blättern an die Atmosphäre im Gleichgewicht. Jeder Stillstand dieses
Wasserstroms ist ein Stillstand auch des Wachsthums. Die Stetigkeit
des Zuflusses beruht auf der Feuchtigkeit des Erdbodens,
diese auf der Vertheilung der atmosphärischen Niederschläge, die
ihn tränken, auf der grossen Circulation des Wassers durch die Luft.
Das Waldgebiet nun wird dadurch von den südwärts angrenzenden
Steppen, so wie von den Ländern am Mittelmeer klimatisch abgesondert,
dass diese Circulation ununterbrochen fortdauert, dass keine
regenlose Perioden sich einschalten, die einen Stillstand in der Entwickelung
der Pflanzen bewirken müssten. Von einem Niederschlage
bis zum folgenden bewahrt bei normalen Witterungsverhältnissen
der Boden Feuchtigkeit genug, um den Ansprüchen der Vegetation
zu genügen. Dies ist die Folge des stets abwechselnden Kampfs
zwischen heiteren und Wolken spendenden Luftströmungen, der die
Zone der nördlichen Wälder auszeichnet und dieser mit dem arktischen
Gebiete gemeinsam ist. Gerade im Sommer fällt hier der
meiste Regen und begleitet die höchste Entfaltung des Pflanzen