gegen die Form der Temperaturkurve, nur eine konstante Mittelwärme
erheischen. Entweder wird also die Polargrenze, wie die
solare Wärme, nur von der geographischen Breite abhängen, oder
sowohl von dieser als von dem Abstande des atlantischen Meers und
dann , gleich der Buchengrenze, einer mittleren, einer nordöstlichen
Vegetationslinie entsprechen. Hierin scheint mir die Ursache zu
liegen, dass die Wintercerealien unter einer bestimmten Polhöhe
nicht mehr fortkommen, wo sie zu Anfang und gegen das Ende ihrer
Sommerperiode die Wärme nicht mehr finden, deren sie bedürfen.
Allerdings gehen sie an der Westküste Norwegens viel weiter nach
Norden als in Schweden [fast bis 65 ° ] 2S), aber dies ist nur die allgemeine,
auf alle Polargrenzen sich erstreckende Wirkung des Golfstroms,
der da, wo er das Festland erwärmend bespült, die Vegetationsperiode
bedeutend verlängert. An der Ostseite der norwegischen
Fjelde hören diese Wirkungen auf.
Verwickelter wird das Problem der reinen Nordgrenzen dadurch,
dass nicht bloss die solare Wärme, sondern auch die Tageslänge
sich mit der Polhöhe ändert, jene vermindert wird und diese gerade
vom 60. Breitengrade an bis zum Polarkreise rasch zunimmt. Der
längste Tag hat in Petersburg (6o°) 18,5, in Torneo (66°) bereits
22 von der Sonne beleuchtete Stunden. Hiedurch scheint eine gewisse
Ausgleichung bewirkt und, wie Schübeler angenommen, die
Nordgrenze der Pflanzen weiter nach dem Pole zu verrückt zu werden.
Es entsteht hier die Frage, welchen Einfluss denn eigentlich die
Tageslänge auf das Wachsthum äussern kann, ob durch das Licht,
welches den chemischen Process in den Blättern erst möglich macht,
oder durch die Wärmestrahlen der Sonne, deren länger dauernde
Einwirkung den wahren Zeitraum der Entwickelungsperiode ver-
grössert, indem während der Nacht keine Nahrungsstoffe aus der
Luft in die Pflanze übergehen. Schübeler hat dem Lichte allein ohne
Weiteres diese Rolle zugetheilt, die verkürzte Vegetationszeit auszugleichen6?)
; allein das Licht wirkt nur auf die grünen Organe, und
schon früher hatte ich eine Beobachtung mitgetheilt 7°), welche zeigt,
dass, wenn das Licht die dem Organismus zugetheilte Arbeit einleitet,
die Vollendung des Wachsthums doch nur von der Sonnenwärme
abhängt. In der Höhe von 1200F11SS hatte man am Söefjord
in Bergens Stift (60°) Gerste zu bauen mit Erfolg unternommen,
aber die Vegetation derselben bis zur Reife des Korns dauerte daselbst
von Ende April bis zum letzten Drittel des August, mehr als
vier Wochen länger als unten am Meeresufer, wo es freilich viel
wärmer ist, aber die Sonne doch nicht länger leuchtet, auf die Sauerstoffentbindung
der Pflanze den gleichen Einfluss hat. Am Fjord
rechnete man von der Saatzeit (12. Mai) bis zur Ernte (1. August)
nur drittehalb Monate: die Umstände lassen schliessen, dass das
Saatkorn in beiden Fällen gleicher Art war.
Boussingault ist derjenige Naturforscher, der über das Verhält-
niss der Wärme zur Vegetationszeit die physiologisch am besten begründete
Theorie aufgestellt hat ^). Nach ihm erhält man für dieselbe
Pflanze, so sehr sich auch ihre Entwickelungsperiode verkürzen
oder verlängern mag, einen unveränderlichen Werth, wenn man die
mittlere Wärme dieser Vegetationszeit mit der Anzahl der Tage mul-
tiplicirt, die vom Anfang bis zum Ende des Wachsthums verflossen
sind. In diesem Satze ist enthalten, dass jedes Gewächs an ein bestimmtes
Wärmemaass gebunden ist, dass die Bewegungen im Organismus,
die man als Ernährung und Wachsthum zusammenfasst, der
Wärme, die sie hervorruft, proportional sind. Aber die Formel giebt
nur eine richtige Grundlage, und andere Elemente müssen in dieselbe
aufgenommen werden, um ihre Allgemeingültigkeit zu erhöhen:
indessen glaube ich nicht einmal, dass alle Bedingungen schon vollständig
bekannt sind , wodurch sie beeinflusst werden kann. Zuerst
ist gegen Boussingault’s Satz einzuwenden, dass die einzelnenPhasen
der Wachsthumsperiode an bestimmte Wärmegrade gebunden sind,
dass die Blüthe oder in anderen Fällen auch die Fruchtreife eine
höhere Temperatur fordert als die Keimung, dass aber diese Werthe
in der Formel nicht enthalten sind. Ferner ist es klar, dass jede
organische Arbeit, nachdem sie eingeleitet, einer gewissen Zeit zu
ihrer Vollendung bedarf, ehe die Pflanze zu einer neuen Phase übergehen
kann. Ehe nicht alle Zellen des Kartoffelknollens mit Stärkemehl
gefüllt sind, ist derselbe nicht reif und wird zu Grunde gehen,
wenn ihm die Blätter nicht die erforderliche Menge liefern können.
Dies nun scheint mir die Bedeutung zu sein, welche den langen
Tagen des Nordens zukommt, und neben der Anzahl der Tage
müsste daher in jeneP ormel auch die Dauer der einzelnen Tage aufgenommen
werden. Fortgesetzte chemische Arbeit gleicher Art fordert
Zeit und Licht, aber keine Erhöhung der Temperatur. Da nun
Licht und Wärme nicht in gleichem Sinne wirksam sind, so kann
man sich wohl vorstellen, dass die Bildung und Streckung der Zellen
und dann wiederum das Wachsthum verschiedener Organe an andere
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. I . 2. Aufl. 8