hältniss der nördlichen Kalkalpen zu der Centralkette wurde von
Schlagint weitl61) glücklich aufgefasst, indem er die vereinzelten,
zerrissenen, durch jähe Abgründe geschiedenen Gipfel der ersteren,
die von der Sonne weniger erwärmt werden, der massenhaften Wölbung
der letzteren gegenüberstellt, wo die hohe Lage der Thäler
sich dem Charakter des Tafellandes annähert.
In dem grösseren Theile der südlichen Alpenkette, von Piemont
bis zu den Dolomitalpen Illyriens herrschen die schroffen Formen des
Kalkgesteins, aber das Niveau der Regionen verhält sich ähnlich
wie in der höheren, centralen Hebungslinie. Hier werden durch die
geographische Lage die Nachtheile der plastischen Gestaltung ausgeglichen.
Im Dauphiné, wo der Hauptkamm an die Ostseite des
Systems rückt und sich unmittelbar aus der piemontesischen Ebene
erhebt, indem sich westwärts sodann andere, nicht minder hohe Ge-
birgsgruppen unregelmässig an denselben anreihen, bemerkt man
eine Depression der Regionen auf den äussersten, dem Rhonethale
zugewendeten Alpen. Die westliche Gruppe der Grande Chartreuse
ist mit den nördlichen Kalkalpen, der östliche Kamm des Monte Viso
mit den südlichen zusammenzustellen. Indessen sind es diese französischen
Alpen, wo durch den Einfluss des wärmeren Klimas, den
Wechsel der Exposition und dadurch, dass die Wälder meist zurückgedrängt
und verwüstet sind, die Schwankungen im Niveau der
Baumgrenzen den grössten Umfang erreichen : hier wurden Lärchen
und Arven in Höhen beobachtet wie nirgendwo anders in den Alpen
(bis 7700 Fuss), wogegen die Fichte an dem steilen Eckpfeiler der
Grande Chartreuse (bis 5800 Fuss) noch unter dem Niveau zurückbleibt,
welches sie in der Centralkette zu erreichen pflegt. Eine noch
beträchtlichere Depression erleidet die Baumgrenze in der östlichen
Gliederung des illyrischen Karst, dessen Hochebene die Nachtheile
nicht zu ersetzen vermag, welche von der geringeren Höhe der
Gipfel, der ungünstigen Beschaffenheit des Bodens und von dem
Einflüsse des adriatischen Meers abzuleiten sind, zu dessen Tiefe die
Bora, als ein gewaltiger Nordwind, hinabweht. Aber die Beschränkung
des Waldes wird noch dadurch erhöht, dass der Gürtel der
Nadelhölzer sich nicht allgemeiner entwickelt und die Baumgrenze
alsdann durch die Buche gebildet wird. Indessen scheint selbst in
dem südlichsten Theil der dinarischen Alpen, in Bosnien, die Fichte
nicht so hoeh zu steigen (bis 5000 Fuss), wie es in dieser Breite bei
grösserer Gebirgshöhe der Fall sein möchte.
Eigenthümliche Abweichungen von der gesetzmässigen Anordnung
der Regionen zeigen gewisse Bäume, die in den südlichen Alpen
nicht so hoch ansteigen, als ihre, aus anderen Gegenden abgeleitete
klimatische Sphäre zu fordern scheint. Das merkwürdigste Beispiel
bietet die Fichte dar, die in den nördlichen Kalkalpen gegen
1000 .Fuss höher ansteigt als die Edeltanne, im Dauphiné dagegen
nicht über sie hinausreicht. Hier stehen wir bei einer Erscheinung,
die nicht genügend aus dem Umstande zu erklären ist, dass die Fichte,
ohne weiter in die Gebirge Italiens einzutreten, bereits in den südlichen
Alpen zu ihrer aequatorialen Grenzlinie gelangt und also vielleicht
hier nicht mehr in gleichem Umfange, wie weiter nordwärts,
die Bedingungen ihres Gedeihens fände. Es müsste ein Einfluss ermittelt
werden , der in Südeuropa der Fichte nachtheilig und der
Edeltanne vortheilhaft sein könnte, und, wenn ein solcher aus dem
physiologischen Verhalten beider Bäume sich nicht ergeben sollte,
würde man bei dem Gesichtspunkte einer unvollendeten Einwanderung
aus dem Norden stehen bleiben. o Dabei aber ist wiederum nicht
einzusehen, weshalb die Fichte, von der Centralkette zu den südlichen
Alpen fortschreitend, nicht in entsprechendem Niveau sich
auch weiterhin sollte angesiedelt haben. Im Abschnitt über das
Mediterrangebiet wird gezeigt werden, dass die dortigen Gebirge
über dem Niveau von 6000 Fuss zu trocken sind, um Wald zu erzeugen.
und dieses Verhältniss macht sich auch in manchen Gegenden
der südlichen Alpen und namentlich im Dauphiné geltend. Die
Fichte gehört unstreitig zu den Bäumen, die einer starken Befeuch-
sung des Bodens bedürfen, weshalb auch so reiche Moospolster in
ihrem Schatten sich zu entwickeln pflegen. Sollte hierin nicht die
Ursache liegen, dass die Wanderung des Baums nach Süden auf den
Alpen eine Schranke gefunden hat, während die Edeltanne, eben
weil sie ihrer Temperatursphäre nach in ein tieferes Niveau gehört,
bei gleichen Ansprüchen an Feuchtigkeit sich in die Gebirge des
Mediterrangebiets verbreiten konnte, wo sie noch in die Wolkenregion
gleichsam eintaucht? Izt diese Auffassung begründet, so
wären örtliche Ausnahmen zu erwarten, wo die grössere Höhe eines
Berggipfels, die Befeuchtung des Bodens durch Schneewasser die
Fichte auch an ihrer Südgrenze in ein höheres Niveau hinaufrückt.
Von einem Punkte ist in der That ein solcher Ausnahmefall nachzuweisen,
von dem Canigou in den östlichen Pyrenäen, wo die Fichte
(bis 7430 Fuss) bei Weitem höher ansteigt als die Edeltanne (bis