Zunächst pflegt man drei Hauptketten zu unterscheiden, die durch
Reihen von grossen Längsthälern gesondert werden, und von denen
die mittlere vorherrschend aus krystallinischen Schiefern, die nördliche
und südliche , grossentheils aus Kalkgesteinen gebildet sind.
Allein diese Ketten bestehen eigentlich nur aus Gruppen von zusammengedrängten
alpinen Gipfeln und Alpenhörnern, deren Axen-
richtung ungleich ist, und die durch Pässe oft kaum von der halben
Höhe des Hauptkamms oder zuweilen. durch noch viel tiefer einschneidende
Thäler von einander geschieden werden. Diese absondernde
Anordnung der alpinen Gebirgsgruppen setzte in jeder Richtung
der Verbreitung der Pflanzen gewisse Hindernisse entgegen,
ebenso die Verschiedenheit des geognostischen Substrats dem Ueber-
gang von einer Hauptkette zur andern. In den centralen Schieferalpen
ist die Bodenanschwellung verhältnissmasslg am bedeutendsten,
und da auch ihre Thalsohlen höher liegen und die Neigung der Abhänge
minder steil zu sein pflegt, so sind hier günstigere Bedingungen
für die Erwärmung durch die Sonne gegeben, die Regionen liegen
daher in einem höheren Niveau als in den schrofferen Kalkalpen.
Zwar kommen der südlichen Kette durch die südlichere Lage und
durch den Schutz, den die vorliegende Centralkette gegen nördliche
Luftströmungen gewährt, ähnliche Vortheile zu Gute, die jedoch
mehr auf die tief gelegenen Ausgarigsthäler als auf die Höhengrenzen
der Vegetation einwirken. Von diesen letzteren sind, da die westlichen
und östlichen Gebirgstheile sich sehr ungleich verhalten, die
Durchschnittswerthe schwierig anzugeben, und, wenn es versucht
würde, läge das mittlere Niveau der Regionen doch kaum so hoch
als in den höchsten Erhebungen der Centralkette. Diese Ungleichheit
beruht auf der mannigfaltigeren geognostischen Zusammensetzung
und auf der im Osten hervortretenden Eigenthümlichkeit des
Karstplateaus, aus welchem die Hochgipfel nur vereinzelt sich erheben,
aber noch verwickelter wird das-Verhältniss der drei Hauptketten
durch die an beiden Endpunkten ■ ihrer' westöstlichen Erstreckung
erfolgende Richtungsänderung, wodurch der Gebirgszug
der Alpen in einer fast symmetrischen Kurve die norditalienische
Ebene und das adriatische Meer umspannt. Da jedoch sowohl im
Dauphiné wie in Croatien die dreigliedrige Anordnung der Hauptketten
in einfachere, wiewohl unregelmässige Bildungen übergeht,
so kann man diese südwärts gelegenen Schenkel des Systems als
einen Theil der südlichen Alpen auffassen, der durch seine in das
eigentliche Mediterrangebiet vorspringende Stellung von dem westöstlichen
Hauptzuge sich unterscheidet. Es ist bemerkenswerth, dass
die Biegung der Centralkette zum Dauphiné von der Gruppe des
Montblanc ausgeht, die nicht bloss die höchste, sondern auch die
dem Jura am meisten genäherte ist, als ob die grösste Kraft sich da
erwiesen hätte, wo sie gebrochen ward, als ob eine schon von einer
früheren geologischen Periode her bestehende Belastung der Erdrinde
ein Gegengewicht gegen den Hebungsact auszuüben und die
westöstliche Axe der penninischen in die südliche Richtung der gra-
jischen und cottischen Alpen hinüberzuführen vermocht hätte. Diese
Vorstellungsweise findet darin eine gewisse Berechtigung, dass der
Jura erst in der Grande Chartreuse mit den westlichsten Vorbergen
der Alpen des Dauphiné unter spitzem Winkel zusammenhängt, ein
Verhältniss, welches für die Vegetation jenes Gebirgs von besonderer
Bedeutung ist, indem die Einwanderung der Alpenpflanzen auf dasselbe
nicht von der Schweiz, sondern von diesem südlichen Verbindungspunkte
aus erfolgt zu sein scheint.
Die höhere Lüge der Regionen in der Centralkette im Verhältniss
zu den nördlichen Kalkalpen ist zwar eine allgemeine Erscheinung,
aber sie tritt um so bedeutender hervor, je mehr in der Richtung
von Osten nach Westen die Höhe der Alpen zunimmt. Die
Erhebung der Baumgrenze im Engadin, dem Hochlande des oberen
Inn, wo sie zuerst von Kasthofer nachgewiesen wurde, ist später l6x)
von Heer und Mohl bestätigt und in anderen Theilen der höchsten
Alpen in der Schweiz und Savoyen erkannt worden. Der Unterschied
ist übrigens im Engadin für Bäume gleicher Art auf kaum
600 Fuss anzuschlagen, aber da die Lärche und die Arve höher
ansteigen als die Fichte, und da jene beiden Nadelhölzer im oberen
Innthale allgemeiner auftreten, soerstrecken sich die Wälder daselbst
um 1000 Fuss höher als in der nördlichen Schweiz. Da
ferner die Insolation nach der Exposition der Abhänge ungemein
grosse Schwankungen in den Niveaugrenzen herbeiführt, so trifft
man Bäume an einzelnen Oertlichkeiten noch viel höher aufwärts [in
der Nähe des Wormser Jochs die Lärche bis 7x50', die Arve bis
7280'] l64). Mit den Bäumen hebt sich auch die Schneelinie und
die Kultur dér Cerealien erreicht in den penninischen Alpen zuweilen
ein so beträchtliches Niveau, dass dasselbe nur aus örtlichen Einflüssen
in den von Nord nach Süd gerichteten Thälern zu erklären
ist [Weizen bis 5400^ Gerste bis 6100 j I71). Das klimatische Vei