Die meisten Stauden scheinen auf bestimmte Gegenden beschränkt zu
sein, viele Arten sind nur auf einzelnen Gebirgsgruppen und Gipfeln
bemerkt worden. Je gleichartiger die Anden in ihrem Bau erscheinen
und viele Breitengrade hindurch unzählige Schneeberge, Hochflächen
und Thaleinstürze immer wieder aufs Neue einander folgen, desto
ähnlicher sind auch die endemischen Erzeugnisse ihrer Vegetation,
ohne dass der Austausch unter den Centren besonders erleichtert
wäre. Es giebt wohl kein an Einzelnheiten ergiebigeres Beispiel,
wie die Wiederholungen gleicher oder durch unmerkliche Abstufung
verbundener Lebensbedingungen von einer entsprechenden Reihenfolge
verwandter, aber doch bestimmt geschiedener Organisationen
begleitet werden, die unter diesem Einfluss entstanden sind. Vergleicht
man ferner die alpine Flora der tropischen Anden mit der von
Chile, so findet man aufs Neue eine beträchtliche Anzahl von identischen
Gattungen34), deren abgesonderte Arten sich diesseits und
jenseits des Wendekreises vertreten und durch welche die räumliche
Verwandtschaft derVegetationscentren vom Aequator bis zum Feuerlande
vermittelt wird. Seltener sind solche systematische Analogieen
alpiner-Gattungen (z.B. bei Espcletia) zwischen den Kordilleren und
den Gebirgen von Venezuela, die, durch niedrigere Höhenzüge getrennt,
in einem grösseren Abstande von ihnen entfernt liegen, wodurch
freilich die Uebertragung durch Wanderungen nicht vollständig
verhindert wurde. Durch das Meer und den Isthmus abgeschlossen,
ist nach den übrigen Richtungen der Enclemismus der Andenflora im
Allgemeinen dem Verhältniss ihrer klimatischen und geographischen
Selbständigkeit erttsprechend bewahrt geblieben, daher aber auch in
den gegen das östliche Tiefland geöffneten Thälern vielfältig verwischt
worden.
Den ältern, jedoch sehr unvollständigen Arbeiten über die Andenflora
folgte die leider noch unvollendete, aber aus allen bisherigen
Sammlungen geschöpfte Darstellung Weddel’s 35), welche sich indessen
nur auf die alpine Region bezieht. Ungeachtet des grossen
Umfangs einzelner Gattungen scheint die Flora im Verhältniss zu
andern Gegenden Südamerikas nicht reich zu sein. Auf einem Areal,
welches nach Maassgabe der vier gegenwärtig zu den tropischen Anden
jenseits des Isthmus gehörenden Staaten auf mehr als 60000 g. Quadratmeilen
geschätzt werden kann, beträgt die Zahl der aus der
alpinen Region bekannt gewordenen Arten schwerlich über 1200, von
denen wohl 1000 endemisch sein mögen. In den übrigen Regionen
wird man nach Ausschluss der auch in den Nachbarländern vorkommenden
Pflanzen wohl nicht mehr als die doppelte Anzahl, also
im Ganzen nur etwa 3000 beschriebene endemische Arten der Andenflora
annehmen dürfen. Einen hohen Grad der Selbständigkeit dieser
Vegetationscentren aber beweist der Endemismus der Gattungen:
ein Verzeichniss der denselben eigenthümlichen enthält über go, die
sich unter etwa 36 Familien vertheilen36). Wie in Mexiko, stehen
darunter die Synanthereen voran: eine Mehrzahl enthalten ferner
die Orchideen, Solaneen undMelastomaceen. Mehrere weichen durch
ihren Bau von den Familien ab, denen sie zunächst stehen (Males-
herbia von den Passifloreen, die Calycereen von den Synanthereen,
Columellia von den Scrophularineen, Bougueria von den Plantagi-
neen); einige zeichnen sich durch abweichenden Habitus aus (z. B.
durch grosse Blumen und durch ihren Holzstamm die Polemoniacee
Cantua, durch schuppenförmige, gedrängte Belaubung die Scrophu-
larinee Aragoa).
Ueber die Reihe der vorherrschenden Familien, die nach den
Regionen abzusondern sein würde, sind bis jetzt nur wenige Andeutungen
möglich: bei Weitem die grösste Familie der alpinen Region
ist, wie im Hochlande Mexikos, die der Synanthereen, die aber dort
grösstentheils aus Corymbiferen, hier beinahe zur Hälfte aus Labiati—
floren (Mutisiaceen und Nassauviaceen) besteht: in Humboldt’s
Sammlung aus Ecuador3?) beträgt die Anzahl der Synanthereen
22 Procent der Gesammtsumme. Hierauf folgen nach Maassgabc
von Weddel’s Uebersicht der alpinen Andengewächse und Jameson’s
Angaben über Quito die Scrophularineen, Gentianeen und Gramineen,
sodann die Rosaceen, Leguminosen und Valerianeen. In der
übrigens beschränkten Sammlung Humboldt’s aus der Cinchonen-
region von Neu-Granada38) sind bereits tropische Familien, wie die
Melastomaceen, von grösserem Umfang enthalten, ihre Artenzahl
übertrifft die der kältern Klimate.