noch die einzige, allgemein und sicher nachgewiesene 1 hatsache
dieser Art, aber auch gerade desshalb einer näheren Untersuchung
werth. Die Erscheinung besteht darin, dass die Buche in den Alpen
weit höher ansteigt als die Eiche, wogegen wir gesehen haben, dass
die sogenannte Sommereiche (Quercus pendunculata) im Norden Europas
weit über die Buchengrenze hinausgeht. Die in den bayerischen
Alpen von Sendtner121) gemessenen Werthe ergeben für die Sommereiche
als Höhengrenze 2925 Fuss, für die Buche 4370 Fuss. Eine
physiologische Erklärung dieser Ungleichheit der Höhen- und Polargrenzen
geht aus den früher erörterten Beziehungen beider Bäume
zur Temperaturkurve hervor. Im Gebirge ist der Anfang und das
Ende der Vegetationsperiode zunächst durch die Dauer der Schneebedeckung
bestimmt, in welche der Winter die Gehänge einhüllt.
Von der Linie des ewigen Schnees, wo der Sommer denselben nicht
völlig zu verzehren vermag, folgt abwärts eine stetige Reihe von
Niveaus, wo man ihn allmälig früher verschwinden und im Heibste
sich später erneuern sieht. So lange dei Schnee im Schmelzen be
griffen ist, steht die Temperatur seiner Umgebungen auf dem Gefrierpunkte
: Anfang und Ende der vegetativen Entwickelung ist also
durch die Zeitpunkte bestimmt, zu welchen die Sonnenwärme nicht
mehr zur Entfernung des Schnees verbraucht wird und das Erdreich
sich höher zu erwärmen im Stande ist. Die Vegetationszeit beginnt,
kurz nachdem die Schneedecke geschmolzen ist, §ie endet, vcnn
mit den ersten, vielleicht nur vorübergehenden Schneefällen des
Herbstes die Bodentemperatur plötzlich unter das Maass sinkt, bei
welchem phanerogamische Gewächse vegetiren können. Es fehlt
eine Periode, wo dieselbe, in niedrigen, aber über dem Gefrierpunkte
liegenden Werthen schwankend, noch bei gewissen Bäumen eine
Fortdauer der Blattfunktionen zulassen würde. Dieses Verhältniss
entspricht der Entwickelung der Buche, bei welcher zur Zeit der
Belaubung (8°J und des Blattfalls (6°) wenig geänderte Tempcia-
turen gefordert werden. Aber für die Eiche ist eine so gestaltete
Temperaturkurve ungünstig, da dieser Baum sich hei einer höheren
Wärme (io°) belaubt als die Buche, also nach der Entfernung des
Schnees bereits eine längere Zeit einbiisst und diesen Verlust nicht,
wie in den nordischen'Ebenen, dadurch ersetzen kann, dass die
Blätter bei einer geringen Luftwärme (20) sich noch erhalten können.
Dies verhindern die frühzeitigen Schneefälle. Die stärkere Wolkenbildung
des Gebirgs bewirkt, dass der herbstliche Schnee sich unmittelbar
an die höheren Temperaturen der Vegetationszeit anschliesst
und die Bodenwärme plötzlich herabdrückt, während derselbe wieder
wegschmilzt. An der Polargrenze der Eiche, in dem Tieflande
Schwedens und Russlands, ist das Klima trockener als in den Alpen :
es schaltet sich zwischen dem Sommer und den ersten, bedeutenden
Schneefällen eine Periode ein, wo die Temperatur der Luft allmälig
zum Gefrierpunkte herabsinkt, und dadurch holt der Baum den Zeitverlust
wieder ein , den er durch das verspätete Ausschlagen der
Blätter erlitten hatte. Die Buche kann diese herbstliche Periode
nicht mehr benutzen, und deshalb bleibt ihre Polargrenze hinter der
der Eiche so weit zurück. Der Abschnitt der Temperaturkurve, bei
welcher die Buche vegetirt, hat diesseits und jenseits der Wärmekulmination
zwei nahezu gleiche Schenkel: bei der Eiche ist der
Schenkel, der den Zeitraum der wachsenden Wärme bedeutet, viel
kürzer als derjenige, innerhalb dessen sie im Sinken begriffen ist.
Hier haben wir also einen Fall, wo feinere physiologische Unterschiede
der Receptivität gegen die Wärme die Symmetrie der Höhen-
und Polargrenzen stören, aber nur selten werden sich solche Wirkungen
nachweisen lassen, weil sie nur an Bäumen gleicher Art
erkennbar sind, denen eine grosse Verbreitung und eine Ausdehnung
des Wohnorts bis zu den äussersten klimatischen Grenzen zukommt,
wie dies bei der Sommereiche und der Buche der Hall ist. Die Birke
ist in den Alpen zu wenig verbreitet, um sie sicher mit ihrem skandinavischen
Wohngebiet vergleichen zu können: an der Grimsel fand
Martins I22) diesen Baum seiner Polargrenze in Lappland entsprechend
in einem weit höheren Niveau als die Fichte (P . Abics), während
in den bayerischen Alpen die letztere höher ansteigt. Die Kiefer
ist ebenfalls in den Hochalpen zu selten, und in beiden Fällen bleibt
man ungewiss, ob die klimatischen Höhengrenzen erreicht werden.
An der Nordseite der Grimsel ist dies bei der Fichte entschieden
nicht der Fall.
Die Linie des ewigen Schnees hat man nicht selten als die obere
Grenze des Pflanzenlebens aufgefasst, allein nach dem Verhältniss,
in welchem die Schneeregionen der Gebirge zu den schneefreien
Tiefebenen der arktischen Flora stehen, ist es einleuchtend, dass
nicht klimatische Ursachen die Entwickelung der Organismen auf
diesen kalten Höhen ausschliessen, sondern nur das dem Leben
feindliche Substrat, in welchem sich die Pflanzen nicht befestigen
können, und dessen stetiges Abschmelzen und Verdunsten im Sommer