zu erklären. Denn wenn man annehmen wollte, dass die West- und
Ostalpen in einer ähnlichen klimatischen Beziehung ständen wie die
westlichen und östlichen Tiefländer, so ist zu erinnern, dass die auf
einem so beschränkten Raume doch nur unerheblichen Aenderungen,
welche der Abstand vom Meere bewirken kann, hier gar nicht in Betracht
gezogen werden können, weil die Winterkälte und die Dauer
der Vegetationsperiode von dem Niveau in weit höherem Grade als
von der geographischenLage abhängen, und die westlichen Pflanzen
daher, wenn sie unter diesen Bedingungen ständen, nur ihre Region
zu verschieben hätten, um im Osten, die östlichen, um im Westen
zu gedeihen. Dazu kommt, dass in derselben Kette unregelmässig
vertheilte und weit grössere klimatische Verschiedenheiten unter
anderen Einflüssen als denen der westlichen und östlichen Lage auf-
treten, durch die Masse der Niederschläge, die in den venetianischen
Alpen den höchsten Werth erreicht, durch den Schutz gegen die
Winde, der die italienischen Thäler bevorzugt, sowie durch die Nähe
des mittelländischen und adriatischen Meers in den südlichsten Ge-
birgsgruppen. Hier fragt sich nun, ob die so entschiedene Absonderung
der westlichen von den östlichen Alpenpflanzen in der südlichen
Kette mit der Annäherung der beiden Endschenkel des Systems an
das Klima der Mediterranflora in Verbindung steht. Allein dieses
Klima ist an der illyrischen Küste zu Triest nicht minder als am
Fusse der Seealpen bei Nizza ausgebildet, und doch haben die
Alpenpflanzen beider Landschaften die allerwenigste Gemeinschaft.
Offenbar besteht die Einwirkung des südlicheren Klimas in einer
vermehrten Anzahl von solchen Arten, die sich auf die nördlicher
gelegenen Alpen nicht verbreiten können, nicht aber darin, dass dieselben
ihre Wanderungen diesem Klima angepasst hätten. Man kann
nicht behaupten, dass die nördliche Kette der centralen oder diese
der südlichen an Pflanzenreichthum überhaupt nachstehe. Man wird
die bayerischen und gewisse Gegenden der Tiroler Alpen ebenso
reichhaltig finden als irgend eine Gruppe des Dauphiné oder Illyriens,
aber die Verbreitungsbezirke der Arten sind dort durchschnittlich
weit grösser als hier. Die Ursache kann also nur darin gesucht werden,
dass die]J Wanderung der Pflanzen in den südlichen Alpen
grösseren Hindernissen begegnete, und dies wird durch ihren oro-
graphischen Bau entschieden bestätigt. Die südlichen Ketten haben
eine viel mannigfachere Axenrichtung, oft sind ihre alpinen Gruppen
unterbrochen oder nur durch niedrige Pässe verbunden, und die
Querthäler, die in so grosser Anzahl in die norditalienische Ebene
auslaufen, sind viel tiefer eingeschnitten als anderswo, so dass sie
von den alpinen Pflanzen nicht so leicht überschritten werden. Die
engen Wohngebiete so vieler Arten beruhen daher auf den mechanischen
Hemmnissen, die ihrer Ausbreitung entgegenstehen, und
doch zeigt sich auch hier eine Abnahme des Endemismus im mittleren
Theile der Kette, im südlichen Tirol, dessen seltene Pflanzen
zwar zahlreich sind, aber sich doch meist entweder in die Krainer
Dolomitalpen oder aber in die lombardischen Kalkalpen zu verbreiten
pflegen.
Die alpinen Arten des ganzen Alpensystems hat Christ l8+) nach
ihrem Vorkommen im Westen, im Centrum und im Osten unterschieden,
ohne jedoch die Grenzen genauer anzugeben. Von den
693 Arten seines Katalogs zählt er in den östlichen Alpen 589, in
den westlichen 631, in den mittleren nur 395. Da er hiebei auf die
den einzelnen Abschnitten eigenthümlichen Gewächse keine Rücksicht
nimmt, so kann man aus diesen Ziffern nicht ersehen, ob der
Vorzug der östlichen Alpen darauf beruht, dass der Endemismus,
oder ob nur der Reichthum der Flora daselbst gesteigert sei. Nach
meinen Vergleichungen, die sich nicht bloss auf die alpine Region
beziehen, sondern nur das Wohngebiet berücksichtigen, zähle ich
unter 190 endemischen Alpenpflanzen in der südlichen Hauptkette
60, die auf den westlichen Theil (vom Dauphiné bis zur Lombardei),
51, die auf den östlichen (Südtirol bis Croatien), und 5, die auf einen
einzelnen Standort eingeschränkt sind : die übrigen breiten sich
grossentheils in weiterem Umfange über das Alpensystem aus ; die
Beispiele engerer Begrenzung sind in der centralen und nördlichen
Kette weniger zahlreich. Die westlichen und östlichen Pflanzen der
Südalpen zerfallen sodann wiederum durch allmälige Uebergänge in
Arten von grösserem oder kleinerem Wohngebiet. Es giebt im Dauphiné
(x 1 ), in Piemont (8), der Lombardei (3), in Südtirol (11) und
in Krain (7) gewisse Arten, welche nur hier, aber daselbst mehrfach
angetroffen werden, andere, die nur entweder den beiden ersteren
oder den beiden letzteren Landschaften gemeinsam sind. So schreitet
die Verengung des Wohngebiets bis zu den bereits im Allgemeinen
bezeichneten Fällen fort, wo die Beschränkung auf eine einzelne
Alpengruppe oder selbst auf einen einzigen Berg mit um so grösserer
Sicherheit feststeht, je auffallender die Organisationen sind, so dass
sie anderswo nicht so leicht übersehen werden konnten. Eine aus-
14*