das Laubblatt nach zwei Dimensionen, dessen Adernetz in allen
Richtungen seiner Ebene Verkürzungen zulässt. Es fehlen dieser
südlichen Baumform ferner die festen Tegmente der überwinternden
Knospen, die bei den Nadelhölzern und bei den immergrünen Laub-
sträuehern des hohen Nordens vorhanden sind. Da diese Organe
bei den arktischen Ericeen und bei den hochnordischen Pappeln
durch Harz gegen Nachtheile des Klimas geschützt werden, so ist
es denkbar, dass dasselbe Secret auch in der Nadel der Coniferen
ähnliche Dienste leistet. Endlich besitzen die Nadelhölzer in dem
Gesetze ihres Holzwachsthums ein Mittel, die Vegetationsperiode zu
verkürzen, indem die Dicke der Jahresringe, also die Masse des in
einem gegebenen Zeiträume gebildeten Holzes, in der Richtung
gegen ihre Polargrenze regelmässig abnimmt. Middendorff fand bei
seinem Vordringen in die nördlichen Gegenden von Sibirien, dass
die Baumstämme allmälig immer dünner wurden, ohne dass die
Höhe ihres Wuchses sich verringerte86). Nach vergleichenden Messungen
an der Lärche waren die Holzringe in südlicheren Gegenden
3 — 5, innerhalb des Polarkreises weniger als 2 Millimeter dick.
Aehnliche Schwankungen hängen indessen auch von anderen Umständen,
von dem Standorte, von der Ungleichheit der Witterung in
verschiedenen Jahren ab, sie sind als eine Wirkung mangelhafter
Ernährung anzusehen. An der Baumgrenze selbst kommt in Sibirien
bei mehreren Arten auch eine Verkürzung des Stamms, eine Bildung
von Zwergbäumen vor, z.B. bei der Arve (oder Zirbelkiefer: Pinas
CenibrcL), aber die Abnahme der Stammdicke tritt allmäliger ein, sie
ist viel allgemeiner und nicht bloss darauf zurückzuführen, dass die
Bäume in der Ungunst des Klimas leichter zu Grunde gehen und die
Bestände daher durchschnittlich ein jüngeres Alter zeigen. Middendorff,
der diese Ansichten ausspricht, scheint zugleich anzunehmen,
dass dasselbe Verhältniss für alle Bäume, nicht bloss für die Coniferen,
gelte ; allein die dänische Buche beweist durch die Pracht ihres
Wachsthums, dass auch in der Nähe seiner klimatischen Grenze ein
Baum die grössten Dimensionen in beiden Richtungen bewahren
kann.
Ungeachtet der den Nadelhölzern eigenen Vorzüge, wodurch
sie den kürzesten Vegetationsperioden, welche das Baumleben erträgt,
angepasst erscheinen, bleibt doch das Problem, weshalb die
immergrünen Laubwälder dem nördlichen Gebiete fehlen, nicht hinreichend
aufgeklärt. Warum sollten nicht auch bei ihnen feste
Knospenhüllen und andere Einrichtungen der Organisation möglich
sein, die doch selbst die arktische Flora bei ihren immergrünen
Sträuchern zulässt'? Vielleicht könnte man dabei stehen bleiben, dass
die Strenge des Winters und die Schwankungen der Temperatur,
welche in den höheren Breiten den Uebergang der Jahreszeiten zu
begleiten pflegen, von niedrigen Sträuchern, die bis zum Sommer
von Schneelagen geschützt sind, leichter ertragen werden als von
Bäumen, deren breite Blattflächen der kalten Luft ausgesetzt sind
und die, wenn ihr Saft sich wieder regt, noch den Spätfrösten des
Frühlings oder, ehe die Winterruhe eingetreten, der Ungunst des
Herbstes widerstehen müssten. Ob hiedurch die Frage schon erschöpft
se i, kann erst später, wenn sie uns im Mittelmeergebiete
aufs Neue begegnet, erörtert werden. In dieser einleitenden Ueber-
sicht der Baumformen genüge es, die Thatsache auszusprechen,
dass die immergrünen Laubhölzer erst da auftreten, wo die Unterbrechungen
der Vegetationsperiode nicht mehr bloss auf der Winterkälte,
sondern auch auf trockenen Jahreszeiten beruhen. Diese beginnen
aber in denjenigen Breiten, wo die Winter milde werden,
und hier finden wir die Nordgrenze der Lorbeer- und Olivenform.
Wo sie ausnahmsweise das Bereich des trockenen Sommers überschreiten,
sind es Arten von langer Vegetationszeit, die schon des-
-halb dem Norden fremd bleiben müssen. Die Gefährdung, welche
das Blatt durch Verdunstung bei mangelndem Wasserzufluss aus
dem Boden erleidet, wird am einfachsten durch die verstärkte Inkrustation
seiner Oberhaut beseitigt. Ehe diese vollendet ist, sind
die Temperaturschwankungen am nachtheiligsten, und auch deshalb
suchen die immergrünen Laubhölzer die Gegenden des milden
Winters auf. Noch empfindlicher gegen die Kälte sind endlich die
monokotyledonischen Bäume, weil der Verlust der Gipfelknospe den
Untergang des einfachen Stammes zur Folge hat. Nur die Bam-
busenform, welche durch ihre Seitenknospen sich von den übrigen
Formen unterscheidet, erträgt in einem einzelnen Falle den Winter
der kurilischen Inseln (46° N.B.). Die monokotyledonischen Bäume
haben ihre eigene Oekonomie, die sich am meisten in dem ersparten
Holzwachsthum ausspricht. Wenn Nägeli®7) meinte, dass die Holzbildung
der dikotyledonischen Bäume »als eine arge Verschwendung
erscheine«, so ist zu erinnern, dass die während einer unbestimmten
Zeit beständig fortdauernde Vergrösserung der Baumkrone eine stetig
wachsende Last ist, welche eine entsprechende Stütze fordert. Der
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. I. 2. Aufl.