Temperatur in Ruhe verharren, bei welcher sie sich im Frühlinge
entwickeln? Mechanische Erklärungen bieten sich dar, sobald man
die Abhängigkeit der Entwickelungsphasen von der Wärme erkennt,
aber sie genügen nicht, wenn man auf den Zusammenhang des Früheren
und Späteren die Aufmerksamkeit richtet. Der Organismus
ist nicht bloss eine chemische Maschine, die durch äussere Einflüsse
in Bewegung gesetzt wird, sondern die Bewegungen sind von innen
aus so geregelt, dass, wenn auch der äussere Reiz vorhanden ist, die
Wirkung unterdrückt wird, so oft es die dauernde Erhaltung des
Lebens fordert. Die Mittel, dem Feuer zu widerstehen, welches die
Maschine heizt, bleiben uns unbekannt, nur die Zweckmässigkeit der
Vorgänge leuchtet ein, wenn wir sehen, dass, wenn es anders wäre,
der Organismus zu Grunde gehen würde.
Solche Betrachtungen, die freilich dem heutigen mechanischen
Geiste der Physiologie fern liegen, lassen sich auch in anderen Fällen
nicht zurückweisen, die zum Theil noch bestimmter auf verborgene
Kräfte der Organismen schliessen lassen. Als ich mich in der zweiten
Hälfte des Aprils 183g in Konstantinopel aufhielt, fand ich die
Holzgewächse, welche den Winter ihr Laub verlieren, noch weit
zurück; die Ulmen blühten und fingen den 20. April noch nicht an
ihre Blätter zu entfalten, die immergrünen Pflanzen hingegen und
ein Theil der Kräuter hatten damals schon einen beträchtlichen Theil
ihrer jährlichen Entwickelungsphasen vollendet s°). Ich erkannte,
dass der Winterschlaf für verschiedene Klassen von Gewächsen ein
ganz verschiedenes Maass habe, aber eine Erklärung zu geben versuchte
ich nicht. Dies ist erst später von Vaupell unternommen, der
dieselben Erscheinungen in Nizza beobachtete, und dem wir aus dem
Winter von 1855 — 56 über die Belaubung der Bäume daselbst ausführliche
Nachrichten verdanken. Die Thatsachen, die er sammelte,
führten ihn zu der Ansicht, dass ausser dem Klima auch die ursprüngliche
Heimath eines Gewächses auf den Zeitpunkt der Entwickelungsphasen
von Einfluss sei. Während südeuropäische Bäume
schon im Januar frische Blätter trieben, verzögerte sich die Belaubung
der Eichen, Linden, Eschen, Ulmen und Buchen, sowie der
nordamerikanischen Robinien, die also sämmtlich auch in nördlichen
Klimaten gedeihen, bis zum April. Da Vaupell seine Beobachtungen
mit gleichzeitigenThermometermessungen begleitete, so ist es bis zu
einem gewissen Grade möglich, zu unterscheiden, welchen Antheil
an diesen Erscheinungen die Wärme hat, und was hingegen den
eigenen Widerstandskräften des Organismus gegen dieselbe zuzuschreiben
ist. Man kann annehmen, dass die Eichen und Eschen im
nördlichen Europa erst bei einer Temperatur von 9 — io ° R. sich
belauben, und wenn nun auch dieselbe Wärme zu Nizza in der ersten
Aprilwoche herrschte, in welcher diese Bäume ihre Blätter ausbildeten
, so ist es doch unerklärlich, dass dies nicht schon früher geschah,
indem die Temperatur von io °R . daselbst schon am 13. Februar
eingetreten war, fünf Tage andauerte und vor dem Ende des
März nach manchen Unterbrechungen sogar überschritten wurde.
Wie kann derselbe Wärmereiz zu einer Zeit die ruhenden Knospen
in Bewegung setzen, zu der anderen nicht, ohne dass der innere Zustand
des Baumes nachweisbar irgend geändert ist? Dies ist eine
Erscheinung, welche dem sogenannten Atavismus verwandt ist und
darin besteht, dass eine angeerbte Ordnung der Entwickelungsphasen
durch veränderte klimatische Einwirkungen nicht völlig gestört,
sondern nur innerhalb bestimmter Grenzen verschoben werden kann.
Die Mittel, welche der Eiche zu Gebote stehen, trotz der Februarwärme
von Nizza in ihrem Winterschlafe zu verharren, kennen wir
nicht, aber wir können einsehen, dass die späte Belaubung nur in
diesem Klima zur Erhaltung des Baumes nothwendig ist. Denn da
die Vegetationsperiode einer Pflanze je nach der Steilheit der Temperaturkurve
und innerhalb bestimmter Grenzen verkürzt oder verlängert
werden kann, so würde die Eiche, wenn sie in Nizza schon
im Februar belaubt wäre, nicht mehr in voller Sommerfülle und vielleicht
schon mit entfärbten Blättern in die trockene Jahrszeit ein-
treten. Sie würde bei sinkender Wärme wieder ausschlagen und
dabei auf die Dauer nicht bestehen können. So aber, erst im April
belaubt, begegnet sie mit ganzer Lebenskraft dem regenlosen Sommer
und wirft erst im Herbste ihre Blätter ab. Sie ist dem südlichen
Klima ebensowohl angepasst, wie dem nördlichen, wo, wenn sie im
Frühlinge bei geringerer Temperatur sich belauben könnte, die
Nachtfröste des April ihre noch im Wachsthum begriffenen Blätter
zerstören würden. Die Buche hat ein zarteres Laub als die Eiche,
und daher nicht die gleiche Kraft, der trockenen Jahrszeit Widerstand
zu leisten, weshalb sie nicht in die immergrüne Region von
den Bergen hinabsteigt. Aehnliche und wegen des noch wärmeren
Klimas um so merkwürdigere Beobachtungen über die Vegetationsperiode
der Eiche und Buche machte Heer in Madeira 3°), wo zu
Funchal die Mittelwärme des Winters 14 0 R. beträgt, also noch