gegenwärtig am häufigsten angenommene und von ausgezeichneten
Naturforschern vertretene Meinung ist von Forbes I7I ausgegangen,
man kann sie als die geologische bezeichnen. Sie besteht darin,
dass, da die Pflanzen, sich selbst überlassen, ihre Keime nur auf
eine geringe Entfernung ausstreuen, die jetzt vorhandenen Individuen
aber von früheren Generationen gleicher Art abstammen, die geographischen
Lücken des Wohngebiets aus geologischen Veränderungen
der Erdrinde zu erklären seien, welche an Orten, wo eine
bestimmte Art in früheren Perioden einheimisch war, die Bedingungen
ihres Fortbestehens aufhoben. Senkungen des Bodens, welche
die Verbindungen des Festlands unterbrachen, oder Anhäufungen
von Eis , wodurch die Gewächse zu Grunde gingen, werden als die
Ursachen des gestörten Zusammenhangs, des dadurch veränderten
Wohngebiets aufgefasst. Bei diesen Vorstellungen ist jede bestimmte
Beobachtung von Thatsachen ausgeschlossen, sie lassen dagegen
der Phantasie den weitesten Spielraum. Und noch gesteigert wird
diese Unzulänglichkeit für wahrhaft gesicherten Fortschritt durch
den Darwinismus, der die Arten aus einander hervorgehen lässt, in
der That aber die vorliegende Frage in sofern unberührt lässt, als er
nur zu erklären sucht, wie, nicht wo sie entstanden sind. Es ist
möglich, dass von der Geologie der Tertiärzeit die Nachwirkungen
sich noch auf die heutige Anordnung der Pflanzen erstrecken, aber
der Fortschritt in der Naturwissenschaft muss ein geordneter sein:
ehe die näheren Ursachen einer Erscheinung erledigt sind, darf sie
die entfernt liegenden nicht herbeiziehen. Es möchte sonst die verwendete
Arbeit, so hoch die Zeitgenossen sie preisen mögen, in den
Augen der Nachwelt eine vergebliche gewesen sein. Wenn man dem
Grundsätze huldigt, zuerst zu untersuchen, ob die in der Gegenwart
fortwirkenden Kräfte ungenügend sind, die Lücken der Wohngebiete
aufzuklären, so wird man sich leichter mit den der geologischen
Hypothese entgegengesetzten Versuchen befreunden, den Wanderungen
nachzuforschen, durch welche die Pflanzen von einem Standorte
auf den anderen übertragen werden. An Beispielen fehlt es
nicht, wie unter dem Einfluss des Menschen nicht bloss , sondern
auch durch die Mitwirkung geflügelter Thiere oder durch die Strömungen
des Wassers und der Atmosphäre sich einzelne Gewächse
an entfernten Orten anzusiedeln vermögen, allein wie bei jeder Untersuchung,
die sich auf historisch gegebene Verhältnisse bezieht, ist es
auch hier nicht möglich, die Bahnen und die Werkzeuge im einzelnen
Falle sicher festzustellen, aus denen die jetzige Anordnung der Vegetation
hervorgegangen ist. Eine einzige ursprüngliche Heimath,
ein einfacher Ausgangspunkt ihrer Verbreitung wird jeder Pflanze
von beiden Hypothesen zugesprochen, aber die historische, welche
ihre Erklärungen aus den Wanderungen und Ansiedelungen der Gewächse
ableitet, hat vor der geologischen den Vorzug, dass sie
reicher an Hülfsmitteln ist, aus der Gestaltung der heutigen Wohngebiete
auf die Wege schliessen zu lassen, welche die Natur dabei
eingeschlagen hat. Die europäische Flora ist vor allen übrigen geeignet,
solche Untersuchungen zu unterstützen, weil hier die Wohngebiete
der einheimischen Pflanzen am vollständigsten bekannt sind.
Die Vergleichung dieser Wohngebiete zeigt, dass sie nicht bloss
in den meisten Fällen abgeschlossen, sondern auch dass sie von un-
gemein verschiedener Grösse sind. Von den Pflanzen, die fast den
ganzen Erdkreis bewohnen oder eine von dessen Zonen einnehmen,
findet ein stetiger Uebergang zu solchen statt, die an engere oder im
äussersten Falle an einzelne, zuweilen höchst beschränkte Räumlichkeiten
gebunden sind. Was diese im strengsten Sinne endemischen
Gewächse betrifft, so ist eine zwiefache Vorstellung über ihr Vorkommen
möglich, entweder dass sie, an Ort und Stelle entstanden,
die Hindernisse, die ihrer Ausbreitung entgegenstanden, nicht überwinden
konnten, oder dass sie, in früherer Zeit auf grösseren Räumen
wachsend, allmälig im Kampfe mit anderen Organismen zu Grunde
gingen und nur noch da sich erhalten haben, wo wir sie jetzt antreffen.
Beide Ansichten sind ohne Zweifel auf thatsächliche Vorgänge
begründet. Einzelne Fälle sporadischer Verbreitung lassen sich kaum
anders als durch Verdrängung von ehemaligen Standorten erklären,
z. B. das Vorkommen eines sibirischen Rosaceenstrauchs (Potentilla
fruticosd] in der alpinen Region der Pyrenäen, auf den britischen
Inseln, auf Oeland und in Russland, ohne dass die centrale Flora
Deutschlands denselben darbot, als auch hier gleichsam die letzten
Spuren davon im bayerischen Ries entdeckt wurden l8°). Indessen
wird durch die Lage und Gestalt der verschiedenen Wohngebiete der
Schluss gerechtfertigt, dass die Vorstellung von der Verdrängung
und dem Untergehen gewisser Arten nur bei sporadischer Verbreitung
Gründe der Wahrscheinlichkeit für sich hat, dass hingegen diejenige,
welche eine dauernde Beschränkung auf den Entstehungsort
annimmt, bei den streng endemischen Gewächsen die allein berechtigte
ist. Solche Vergleichungen im Bereich der europäischen Flora
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