Eichen in Russland und die dem Licht sich entziehenden Fichten
würden davon Ausnahmen bilden, ebenso die Obstbäume selbst sich
diesem so allgemein ausgedrückten Satze nicht fügen, da sie in gewissen
Meridianen eine rein nördliche Vegetationslinie besitzen.
Sehen wir, dass derselbe Baum im Westen nordöstlich, im Osten
nördlich begrenzt ist, so heisst dies eigentlich nichts Anderes, als
dass die solare Wärme, bis zu einem gewissen Grade gesteigert, die
Verkürzung der Vegetationszeit zu ersetzen vermöge, oder umgekehrt,
dass ihre Abnahme durch verlängertes Wachsthum ausgeglichen
werden könne. Man muss sich überhaupt hüten, klimatische
Beziehungen, denen vielleicht eine beschränkte Wahrheit nicht abzusprechen
ist, in weitem Sinne verallgemeinern zu wollen, nachdem
wir schon mehrfach erkannt haben, wie gross die Verschiedenheiten
sind, die den einzelnen Bäumen in ihrer physischen Receptivität zukommen.
Auch der Weinstock ist ein Gewächs , welches an seiner Polargrenze
der unmittelbaren Einwirkung der Sonnenstrahlen zu seinem
Gedeihen zu bedürfen scheint und doch in seiner Heimath, im Schatten
der Baumkronen, zu denen es emporrankt, von diesem Vortheil
völlig ausgeschlossen ist. Wer das Vorkommen der wilden Rebe in
den pontischen Küstenländern, inThracien, Bulgarien und im Banat
zu beobachten Gelegenheit hat, kann nicht daran zweifeln, dass die
Laubwälder dieses Gebiets der Ausgangspunkt der Weinkultur gewesen
sind, gerade so wie die Obstbäume aus den mitteleuropäischen
Wäldern abstammen, wo sie noch jetzt als sogenannte Wildlinge Vorkommen
und namentlich in der russischen Eichenzone allgemeiner
verbreitet sind. In ihrer Heimath treten diese Holzgewächse mit
solchen ursprünglichen Eigenschaften auf, dass leicht zu erkennen
ist, in welchen Richtungen die Veredelung durch die Kultur gewirkt
hat. Die Früchte des Wildlings der Obstbäume und die wilden Trauben
in den unteren Donauländern und am Pontus sind kleiner und
weniger mannigfaltig in der Beschaffenheit des Safts. In ihrem Vor-
kommen sind sie da, wo sie ungestört blieben, durch Häufigkeit der
Individuen und selbständige Fortpflanzung den Waldbäumen ebenbürtig,
welche sie begleiten. Die Rebe rankt an ihnen ebenso empor,
wie bei uns der Hopfen oder der Epheu. Wenn man an dem Ursprung
des Weinstocks aus den Pontusländern gezweifelt hat, so lag
der Grund nur darin, dass man die Art des Vorkommens und die
gleichartige Beschaffenheit der Beeren o o in ihrer Heimath nicht genug
beobachtet hat. Klimatisch ist der wilde Weinstock an eine hohe
Sommerwärme und an eine lange Dauer der Vegetationszeit gebunden,
gegen die Variationen der Wintertemperatur verhält er sich
vermöge seiner tief in den Boden dringenden Wurzeln gleichgültig.
Als ein Erzeugniss schattiger Wälder steht er nicht unter dem Einfluss
der direkten Sonnenstrahlen, der kontinentale Sommer gewährt
ihm nur die diffuse Wärme der atmosphärischen Luft. Durch die
Kultur ist der Weinstock zwar an höhere Polargrenzen, aber nicht
in gleichem Sinne fortgerückt: durch die Kombination der langen
Entwickelungsperiode (von 6 bis 7 Monaten) mit beträchtlicher
Sommerwärme [von 15 — 16 0 R.] 82) verbreitet sich der Weinbau in
Mitteleuropa nach Süden und nach Osten, in nordwestlicher Richtung
hört derselbe auf. Die Vegetationslinie geht von der Bretagne
(47° 30') fast geradlinig über Lüttich an den Rhein (50° 45') und
durch Niederhessen (510 20') und Thüringen bis Schlesien (510 55'),
sie liegt der natürlichen Polargrenze in den Donauländern parallel.
Dass sie in früheren Jahrhunderten einer weiter nordwärts gelegenen
Parallele entsprach, die vom südlichen England über Preussen bis
zu den russischen Ostseeprovinzen verlief, ist mit Recht darauf bezogen
worden, dass man im Mittelalter, als die Kommunikationen
des Handels in Europa noch wenig entwickelt waren, sich mit einem
Weine begnügte, den man heutzutage verschmäht. Im Süden wird
der Weinstock, wie es seine eigentliche Natur ist, häufig an Bäumen
gezogen, die ihn beschatten ; an der klimatischen Grenze seines Kul—
turgebiets muss man das Gewächs den Sonnenstrahlen aussetzen,
um die nöthige Wärme zuzuführen, namentlich auch die des Septembers
(wenigstens 12 0), die zur Zuckerbildung in den Beeren am
meisten beiträgt. Auf das wechselnde Maass der Wärme sind die
zahllosen chemischen Abänderungen vorzugsweise zurückzuführen,
welche die Kultur nach und nach ins Leben gerufen hat, und auf
deren Beständigkeit das Feuer, das Aroma, die Güte des Weins beruht.
Der Boden ist nicht ohne Bedeutung, aber mit dem Klima an
Wirksamkeit nicht zu vergleichen. Wie so viel günstiger die Bedingungen
für solche Einflüsse werden, je mehr man sich der Heimath
des Weinstocks nähert, zeigt die Stellung der ungarischen Weine im
Verhältniss zu den deutschen. Wie aber diese Einwirkungen zunächst
an die Wärme des Klimas geknüpft sind, erkennen wir, wenn
wir die Weine des südlichen Frankreichs mit denen vergleichen, die
in der Nähe der Polargrenze des Kulturgebiets erzeugt werden.