I. Arktische Flora
daselbst im Frühlinge eine Zeit lang von den hochgeschwollenen
Gewässern des Stromes überschwemmt. Wie auf überstauten Wiesen
wird hier ein besserer Grasrasen gefördert als auf der Höhe der Uferterrasse,
gemischt mit dürftigem Weidengestrüpp und verschiedenen
Kräutern. Wenn aber der Boden nach dem Zurücktreten des Wassers
sumpfig bleibt, fehlt auch hier das Moos nicht, die Gräser treten
gegen die Cyperaceen zurück, und so bildet sich ein Uebergang zur
Tundra, von denen diese Weidegründe durch die schmale Zone der
blumenreichen Matten getrennt werden, welche an den Abhängen
und Abstürzen des Landes gegen den Strom sich hinzieht.
Die Formation der arktischen und alpinen Matten unterscheidet
sich dadurch von den Wiesen und Cyperaceen-Sümpfen, dass der
Grasrasen zurückgedrängt und durch Stauden ersetzt wird. Dies ist
das einzige anmuthige Landschaftsbild in den Polarländern, wo ein
freudiges Grün erscheint und die Vegetation von lebhafterem Wachsthum
mit glänzenden Blumenfarben aller Art geschmückt ist. Denn
hier, wo der Boden stärker geneigt ist als auf den so geringfügigen
Unebenheiten der Tundra, verliert sich im Frühjahr rascher das
Schneewasser, frühzeitiger beginnt das Eis zu thauen und höhere
Wärme wird daher auch im Sommer von dem Erdreich aufgenommen,
um so mehr, wenn ein benachbarter Strom, die Temperatur
ausgleichend, als ein Schutzmittel gegen den periodisch wiederkehrenden
Frost zu Anfang und Ende der guten Jahreszeit dient. Aehn-
lich ist auch der Eindruck, der auf den arktischen Inseln den Naturfreund
so lebhaft anregt, der bunte Teppich, den jBaer 3°) mit einem
von kunstreicher Hand in der Eisregion angelegten Garten und mit
dem Schmuck der alpinen Landschaft in den Alpen vergleicht. Er
schildert den mit purpurfarbigen Blumen dicht besetzten Rasen der
Silenen und Saxifragen, gemischt mit den azurnen Sternen des Vergissmeinnicht,
mit goldgelben Ranunkeln und Draben und mit anderen
Blüthen von blauen, weissen und hellrothen Farbentönen, unter
denen das Grün des geringen Laubes kaum bemerkt wird. Aber er
findet auf den alpinen Matten der Alpen die Pflanzen doch mehr
massenhaft zusammengehäuft. Die Blüthen der arktischen Flora sind
gleichmässiger unter einander vermischt, die einzelnen Rasen stehen
weit genug von einander entfernt, um den Boden zwischen sich sichtbar
werden zu lassen, und so gleicht dieser reichgefärbte Teppich
am Fuss der Berge von Nowaja Semlja einem sorgsam gereinigten
Blumenbeet,
Matten. — Gebüsche. — Schneelinie
Selbständige Gebüsche von Holzgewächsen treten, da die Formen
der Zwergsträucher Nebenbestandtheile der Tundren und Matten
sind, in grösserem Umfange nur da auf, wo die Vegetationszeit
sich verlängert. Hier mischt sich die Weiden- und Rhamnusform
zu Gesträuchen von höherem Wüchse, wie in der Nähe der Baumgrenze
an der Behringstrasse, wohin die nordische Erle sich verbreitet
[Ainus incana mit S a lix -Arten3I) ]. So sind auch die Lavafelder
im südlichen Island32) mit Birken und Weidengebüsch bewachsen,
welches zuweilen Mannshöhe erreicht IBetula alba und nana, Salix
phylicifolia und lanata), Aber ebenso wie an den Küsten dieser
Insel der Golfstrom das Klima verbessert, so wird auch durch das
fliessende Wasser der Ströme die Entwickelungsperiode der Vegetation
verlängert, und von diesem Verhältniss ist das höhere Weidengesträuch
der arktischen Flussufer der Ausdruck (im Samojedenlande
z.B. Salix hastata mit Ainus fruticosa, im arktischen Amerika
S. speciosa).
Regionen, Wie hoch sich die arktische Vegetation an den
Abhängen des geneigten Bodens nach aufwärts erstrecke, ist schwierig
festzustellen und in manchen Fällen kaum auf ein mittleres Maass
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zurückzuführen. Man kann auch von südlicher gelegenen Gebirgen
nicht behaupten, dass die Schneelinie eine Grenze des organischen
Lebens überhaupt sei, sondern nur, dass hier der zusammenhängende
Pflanzenwuchs aufhöre, indem in jeder beliebigen Höhe, da wo
Schnee oder Eis an der Oberfläche nicht haften oder sich nicht
dauernd erhalten, die Bedingungen für die Vegetation einzelner Gewächse
gegeben sind und eben in der Schneeregion selbst die arktischen
Formen häufiger wiederkehren. In den Polargegenden ist die
Lage der Schneegrenze indessen viel unbestimmter, weil sie, wie
früher gezeigt wurde, in viel höherem Grade von den örtlichen Einflüssen
abhängt. Baer33) erklärt es geradezu für unmöglich, in
Nowaja Semlja ihr Niveau zu bestimmen, weil nicht die Abnahme
der Wärme mit der Höhe, sondern die örtliche Erwärmung das allein
entscheidende Moment bilde. Es giebt dort ewige Schneemassen,
die von den Gebirgskämmen herab bis auf wenige Klafter vom Spiegel
des Meers reichen, und deren Anhäufung selbst auf die Umgebungen
bis zu diesem Grade erkältend o einwirkt. Wo aber die Son