gegen Westen nach dem ägäischen Meere zu stufenweise sich herabsenken.
Hiedurch und durch die Flussthäler, welche aus dem Inneren
nach der jonischen Küste verlaufen, geht in dieser Richtung
die Vegetation der Hochebene allmäliger in die Mediterranflora über
als im Süden, wo der hohe Taurus sie absondert und unmittelbar an
dieses Randgebirge die Salzsteppe von Konia grenzt. Die Gebirgs-
flora ist in Anatolien ungleich mannigfaltiger als die der dürren
Hochflächen, denen durch den Taurus die Feuchtigkeit der Südwestwinde
entzogen wird. Uebrigens ist die Kenntniss von dem Klima
des Inneren noch sehr ungenügend. Meteorologische Messungen
liegen nur von Kaisaria vor [39 ° N. B.] 29), wo auch im Winter Nordostwinde
wehen, weil der nahe Argäus die Luftströmung aus der
entgegengesetzten Richtung abhält. Das wichtigste Ergebniss aus
diesen Beobachtungen besteht darin, dass das Klima bei Weitem
nicht so kontinental ist als in dem übrigen Steppengebiet. Die
Wasserscheide gegen den Euphrat bildet hier den Wendepunkt, der
strenge und schneereiche Winter Armeniens ist nicht bloss eine Folge
des höheren Niveaus, sondern auch davon, dass die Temperatur in
Kleinasien durch das Meer, welches die Halbinsel von drei Seiten
umgiebt, gemässigt wird. Hierin und in der viel geringeren Wasserfülle
Anatoliens muss man die vorzüglichsten Ursachen von der Verschiedenheit
der Floren beider Länder erblicken. Das Klima Kleinasiens
steht dem spanischen weit näher als irgend einem anderen des
Steppengebiets. Bei wenig niedrigerer Sommerwärme ist der Winter
in Kaisaria zwar beinahe vier Grade kälter als in Madrid, aber jene
Stadt liegt auch beträchtlich höher (3680 Fuss). Unter so nahe übereinstimmenden
klimatischen Bedingungen würde die Verwandtschaft
der spanischen und anatolischen Flora weit grösser sein, wenn nicht
der Austausch durch die weite Entfernung beider Halbinseln so sehr
erschwert würde. Dass wir das Hochland Spaniens als ein Glied der
Mittelmeerflora betrachten, das anatolische hingegen zu dem Steppengebiet
rechnen, findet eben nur in der engen Verbindung mit den
Nachbarländern seine Berechtigung.
Die Ruinen der lycischen Städte und andere Alterthümer geben
uns eine Vorstellung von der hohen Kulturblüthe, die einst auch auf
der Hochebene Kleinasiens herrschte, wo jetzt kurdische Nomaden
mit ihren Heerden umherziehen. In Ermangelung umfassender Beobachtungen
über das Klima können wir schon hieraus schliessen,
dass bei vernachlässigter Irrigation der Ackerbau nicht zu bestehen
vermochte, der von jeher die erste Bedingung der Städtegründung
und höherer Civilisation war. Denn erst dann, wenn die Arbeiten
sich theilen, die unter den Nomaden jeder Familie obliegen, wenn
sie zu einer unter das ganze Volk angemessen vertheilten Organisation
von verschiedenartigen Beschäftigungen werden, ist den Begabtesten
Ruhe des Nachdenkens und Aufschwung politischer und religiöser
Gesinnung gegönnt, jene geistige Erhebung, welche zu künstlerischen
Bauten, zu der Errichtung von Denkmalen und der Gottheit
geweihten Tempeln anregte, deren Ueberreste uns jetzt von dem
erloschenen Streben der Bewohner dieses Landes ein Zeugniss sind.
Das anatolische Hochland scheint bei dem ersten Ueberblick wenig
geeignet, den Ackerbau durch das fliessende Gebirgswasser zu fördern,
da es nur schwach mit Flussadern ausgestattet und selbst der
grösste Strom, der Halys, im Verhältniss zu dem Umfange des Gebiets,
welches er entwässert, von geringer Bedeutung ist. Man hat
daher gemeint, der Entwaldung der Gebirge die Verödung des Landes
zuschreiben zu müssen. Allein bei einer näheren Betrachtung des
Reliefs gelangt man zu einem anderen Ergebniss, welches, wenn der
Geist der heutigen Bevölkerung es erlaubte, auch hier auf eine
Wiedererweckung des Orients hoffen liesse. Der Taurus, der sowohl
im Osten als im Süden das Randgebirge der Hochfläche bildet, ist
noch jetzt mit ausgedehnten Wäldern bedeckt, und auch den nördlichen
Gebirgen am Pontus fehlen sie nicht. Im Inneren ist die
Hochebene reich mit Hebungen erfüllt, die theilszu einzelnen Ketten
sich absondern, theils in unregelmässig zerstreuten Bergkegeln emporragen,
unter denen der höchste, der Argäus bei Kaisaria, fast 12000
Fuss misst (11824'). Entbehren diese Höhen selbst auch des Baumwuchses
, so umschliessen sie doch zahlreiche Becken, deren Gewässer,
ohne Abfluss nach aussen an der Binnenseite des südlichen
Taurus gelegen, von diesem gespeist werden. Die westliche Abdachung
der Halbinsel hat nicht sowohl ein Randgebirge als vielmehr
eine Reihe hoher, zum Theil senkrecht gegen das ägäische
Meer gestellter Parallelketten, zwischen denen bewässerte Thalfurchen
tief in das Innere hinaufreichen. Je unbedeutender daher die einzelnen
Flüsse Anatoliens sind, desto grösser ist ihre Anzahl und
desto günstiger ihr Gefälle, um zu Irrigationen benutzt zu werden.
Und auch jetzt fehlt es, wie die Städte im Innern, die Opiumkultur
von Karahissar, die immer noch erhebliche Industrie von Angora
und Konia, die Handelsthätigkeit in Kaisaria beweisen , an Kultur