lebens. Die Vegetationszeit ist hier nur durch die sinkende Temperatur,
nirgends durch Mangel an Feuchtigkeit eingeschränkt.
Dass die Bäume einer grösseren Masse atmosphärischen Wassers
bedürfen als die kleineren Gewächse, ist ein Verhältniss, welches
die geographische Vertheilung des Regens nur scheinbar berührt,
da nirgends in dem Gebiete die Trockenheit so gross ist, um
das Gedeihen des Waldes zu beschränken. Auch zeigen sich die
regenreichsten Landschaften an den Küsten und in den Gebirgen
nicht bevorzugt. Wenn die Ebenen des westlichen Europa gegenwärtig
weniger Wald besitzen als die Gebirgszüge, so liegt die Ursache
augenscheinlich nur darin, dass der Ackerbau, als er anfing in
den ursprünglichen Naturzustand einzugreifen, in den Tiefländern
günstigere Bedingungen vorfand als auf den geneigten und mit weniger
Erdkrume bedeckten Berggehängen. Wenn gerade die feuchten
Küsten oft am wenigsten bewaldet sind, so fehlt es hier den
Bäumen, so lange ihre Stämme noch schwach sind, an hinlänglichem
Schutz gegen stürmische Seewinde. Ihre Vegetation war ursprünglich
fast überall gleichmässig gesichert, weil diejenige Feuchtigkeit,
die durch ihr Gewebe strömt, doch nur einen verhältnissmässig kleinen
Theil von den Wassermassen bildet, welche die Verdunstung
des Meers den Kontinenten zuführt, und wovon das Uebrige auf unorganischen
Bahnen wieder dahin zurückkehrt.
Eine viel wichtigere, vielfach angeregte und in verschiedenem
Sinne beantwortete Frage ist es, welche Wirkung die Wälder auf
das Klima ausüben, und ob die Kultur, indem sie dieselben lichtete
und auf dem einst vom Dickicht der Bäume beschatteten BofYd"’en sonnige
Ackerfelder ausbreitete, dadurch wesentliche Aenderungen in
den physischen Lebensbedingungen der organischen Natur herbeiführte.
Die Ueberlieferungen der Geschichte weisen darauf hin, die
Beobachtungen über die nachtheiligen Wirkungen, welche die Zerstörung
der Wälder nach sich zieht, lassen keinem Zweifel Raum,
nur über die Art und den Umfang der klimatischen Einflüsse, die
dem Baumleben im Haushalte der Natur zugetheilt sind, herrschen
widersprechende Ansichten. Hiebei sind die verschiedenen Fragen
zu unterscheiden, ob nur die Feuchtigkeit oder auch die Wärme des
Klimas mit der Bewaldung sich ändert, sodann, ob die atmosphärischen
Niederschläge an Masse zunehmen oder nur der Zeit nach sich
anders vertheilen. Allgemein anerkannt ist der Einfluss der Wälder
auf die gleichmässigere Benetzung des Bodens im Verlaufe der Jahreszeiten.
Diese Wirkung lässt sich unmittelbar am leichtesten
beobachten, weil der Wasserstand der Flüsse, die aus waldigen Gegenden
kommen, sich weniger ändert als in offenen Landschaften.
Der humose, von den Wurzeln der Bäume durchflochtene Erdboden
hält die Feuchtigkeit der Niederschläge zurück, die sonst rascher zu
den Quellen abfliesst r+). Auch die Niederschläge selbst treten häufiger
ein , weil jedes Blatt eine verdunstende Scheibe ist, die Laubmasse
eines Waldes eine Wasserdampf liefernde Oberfläche von
beispiellosem Umfange bildet und die Verdunstungskälte sich den
benachbarten Luftschichten mittheilt, in denen der Dampf sich wiederum
zu Nebel und Wolken verdichten kann. Die Wolkenbildungen
des Sommers kann man als ein topographisches Spiegelbild der
Landschaft betrachten, wo die Zwischenräume des blauen Himmels
den offenen und stärker erhitzten Gliederungen der Erdoberfläche
entsprechen , aus denen die warmen Luftströme aufsteigen, welche
die Nebelbläschen wieder aufiösen. Wäre das Ganze nicht in Bewegung,
so würde es im Walde noch häufiger regnen, aber der Wechsel
der waldigen und waldlosen Strecken ist die günstigste Bedingung
für örtlich begrenzte Niederschläge, die auch dann eintreten, wenn
die allgemeine Windesrichtung Trockenheit ankündigt. Die häufige
Benetzung des Bodens ist im Grunde nur eine Folge von der mannigfaltigen
Gliederung der Erdoberfläche nach verschiedenen Graden
der Erwärmungsfähigkeit. Wäre Europa noch durchaus mit
Wäldern bedeckt, so würde dieser Einfluss aufhören, und doch nehmen
Naturforscher, wie Dove, an, dass derselbe der einzige sei, den
die Bekleidung des Bodens mit Bäumen auf das Klima ausübe. Dieser
grosse Kenner der atmosphärischen Bewegungen spricht die Ansicht
aus, dass die Wälder auf die Menge des Regens nicht wesentlich
einwirken, sondern nur auf die Zeit, in der die Niederschläge
herabfallen f . Er führt als Grund seiner Meinung an, dass die Regenmenge
im Grossen von der unsymmetrischen Vertheilung des
Meers und des Festlands abhänge, dass das Wasser selten da herabfällt,
wo es verdunstet, und dass das Meerwasser die allgemeine
Quelle ist. aus welcher die Kontinente ihre Feuchtigkeit beziehen.
Die Sonnenwärme ist es, die den Dampf aus dem Meere emporhebt,
und wie in einem Destillirkolben verdichtet sich derselbe da, wo er
mit kälteren Körpern in Berührung tritt. Jede Verdichtung, jede
Bildung von Nebelbläschen und Tropfen, schafft wieder Raum für
neuen Wasserdampf, und daher sind die Gebirge, die kältesten
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. I. 2. Aufl. 6