und sie haben ein viel grösseres Recht dazu, wenn, wie wir sahen,
gewisse miocenische Nadelhölzer von den jetzt lebenden nicht einmal
der Art nach zu unterscheiden sind. Wo sind nun diese Wälder geblieben,
wenn die Glacialzeit sie zerstörte, die der Braunkohle nachfolgte
und der gegenwärtigen Schöpfung vorausging?
Liegt nicht in den Meeresströmungen eine durchaus den That-
Sachen entsprechende Quelle der Verknüpfung der grönländischen
Flora mit der des arktischen Asiens ? Baer 4°) machte schon darauf
aufmerksam, wie das Treibeis dazu mitwirkt, die Gewächse um den
Pol auszubreiten. Die Erscheinung, dass die Rasen bildenden Stauden
auf Nowaja Semlja nicht massenhaft auftreten, wie in den Alpen,
sondern dass die verschiedenen Arten unter einander gemischt wachsen,
dass bei anscheinend gleicher Beschaffenheit des Bodens die
Küste reicher besetzt ist als die dem Meere entfernteren Gegenden,
diejenigen Räume, vor welchen Inseln liegen, weniger als die frei
gelegenen, erklärt er aus den jährlichen Strandungen des Treibeises,
deren Erfolg, mögen Samen oder ganze Pflanzen mit ihren Wurzeln
dadurch von Küste zu Küste geführt werden, weit grösser sein müsse
als die eigene, oft gehinderte Befruchtung. Das Eis, bemerkter,
ist offenbar das beste Fahrzeug für Ansiedelungen von Gewächsen
aus der Ferne und bereichert die Küstenvegetation in jedem Jahr:
namentlich, möchte man hinzufügen, wenn es mit losgewaschener
Erde und niedergefallenen Steinen beladen ist. Die arktische Strömung,
welche, von Sibirien ausgehend, Spitzbergen umkreisend, der
grönländischen Ostküste entlang nach dem atlantischen Meere führt,
ist ein solches Fahrwasser, welches mit dem asiatischen Küsteneise
die Keime der Vegetation Grönland zu Theil werden lässt. Aus den
Strömungen der BaffinsbaiIO) sodann, wie Hooker schon selbst angedeutet
hat, ist die Absonderung Grönlands von Amerika abzuleiten.
Die östliche, die aus der Barrowstrasse die Eisfelder in das atlantische
Meer trägt, scheidet die amerikanische Flora von Grönland,
und jener Zweig des Golfstroms, der an der Westküste dieses Landes
bis zum Smithsund nach Norden geht, ist geeignet, die grönländischen
1 flanzen selbst in dieser Richtung zu verbreiten. Die grönländische
h lora wird nach Norden nur ärmer, aber ändert ihren Charakter
nicht, nimmt keine neue Bestandtheile auf. Gerade in dieser Beziehung
ist die Sammlung von Hayes Q in den hohen Breiten des
Smithsund (78°) wichtig und auch für die Vorstellungen über die
Geographie der unbekannten Gegenden des Polarbeckens von Inter-
Wanderungen der arktischen Pflanzen. 61
esse. Petermann hat namentlich aus der Abwesenheit des sibirischen
Treibholzes in der Baffinsbai geschlossen , dass der offene Wasserhimmel
, welcher am nördlichen Ausgange des Smithsund erblickt
wurde, von dem östlichen Eismeere Spitzbergens durch Land getrennt
sei. Für diese Ansicht lässt sich nun auch geltend machen,
dass unter den Pflanzen vom Smithsund auch nicht eine einzige Art
sich befindet, die nicht auch in südlicheren Gegenden an der Westküste
Grönlands vorkäme. Es ist ferner bemerkenswerth, dass unter
denselben Breitengraden (70°—750) nach den Sammlungen von Sco-
resby und Sabine, welche Hooker 38) verglich, die Ostküste Grönlands,
die den Eisstrandungen aus dem arktischen Strome unmittelbar
ausgesetzt ist, viel pflanzenreicher sein soll als die Westküste.
Wird man nicht durch solche Thatsachen zu der Vorstellung geführt,
dass Grönland, welches keine eigenthümlichen Pflanzen aufzuweisen
hat, seine Vegetation von Osten aus durch diese Meeresströmung
empfing, und dass die einzelnen Arten, der Küstenlinie folgend,
nach und nach bis zum Smithsund verpflanzt wurden? Wenn das
Eis in dieser Meerenge , wie es nur in gewissen Jahren der Fall ist,
sich in Bewegung setzt, so kann es von den wenigen Pflanzen, die
an dieser Küste bei dem geringsten Maass der Sommerwärme noch
übrig sind, zwar die Ansiedelung längs der amerikanischen Seite der
Baffinsbai bewirken, nicht aber amerikanische Arten nach Grönland
hinüberführen.
Aber wenn man die Absonderung Grönlands von Amerika aus
der Richtung der Meeresströmungen ableitet, die auf die Verknüpfung
jenes Landes mit Asien hinweisen, so würde man, auf Darwin’s und
Hooker’s Ansichten bauend, einwenden können, die grönländische
Flora sei nicht asiatischen, sondern skandinavischen Ursprungs.
Diese Meinung wird darauf begründet, dass Lappland das pflanzenreichste
Land jenseits des Polarkreises ist. Allein dieser Reichthum
beruht nicht auf einem grösseren Antheil arktischer, sondern südlicher
Pflanzen des Waldgebiets, die hier unter dem Einfluss des erwärmenden
Golfstroms weiter als anderswo nach Norden gehen. Auf
keine einzige Thatsache stützt sich die Vorstellung von dem höheren
Alterthum der Vegetation Skandinaviens, wo nur eine seltene Vereinigung
von Pflanzen grosser Wohngebiete zu Stande gekommen
ist, wie sie der mannigfaltigen klimatischen Gliederung des Landes
entspricht. Ein ursprüngliches Vegetationscentrum können wir nur
daran erkennen, dass endemische Gewächse vorhanden sind, die