Die Höhe und Ueppigkeit des Baumwuchses ist ein Ausdruck
der verschiedensten physischen Bedingungen. Die Kürze des
Sommers und die verhältnissmässige Trockenheit Sibiriens, nicht
minder aber auch die flache Lage des unterirdischen Eises beschränken
hier die Grösse und den Umfang der Stämme und geben dem
Walde, je mehr man nach Norden geht, den Charakter jugendlicher
Bestände io8) , die an Schönheit mit denen des Seeklimas nicht zu
vergleichen sind. Aber auch im Westen, wo der Baumwuchs vom
Klima am meisten begünstigt wird, ist die Pracht der Wälder sehr
ungleich vertheilt und hängt von der Beschaffenheit des Bodens, vor
Allem aber von seiner Fähigkeit ab, die Feuchtigkeit zurückzuhalten.
Diese ist es, von welcher Ratzeburg io9), einer der ersten Kenner der
deutschen Wälder, die Ueppigkeit der Bestände auf dem Basalt der
Weserlandschaften, wie auf den Trachyten des Rheins ableitet.
Wenn durch die Tiefe der Erdkrume und ihre Mischung die Ver-
theilung der Baumarten bestimmt wird, so ist die Kiaft der Indivi-
viduen, regelmässig und bis zu hohen Altersstufen sich zu entwickeln,
die von Jahr zu Jahr die Bedeutung ihrer Gestalt erhöhen, an die
gleichmässige Strömung ihrer Säfte geknüpft. In Deutschland finden
sich die schönsten Buchenbestände an der Ostsee und auf dem kalkhaltigen
Boden der Hügelketten des Wesergebiets. Viel seltener sind
die alten, wohlerhaltenen Eichenwälder geworden, von denen ich die
prächtigsten am Ufer der Elbe in Anhalt sah, und denen die des
schlesischen Alluviums an der Oder gleichen sollen: solche Bäume,
wie dort, werden in der grossen Eichenzone, die sich von Nordalbanien
über Serbien bis zu den russischen Laubwäldern erstreckt,
wohl selten angetroffen. Die Fichten der Sudeten, des Harzes und
der Alpen, die Edeltannen des Schwarzwaldes enthalten in ihrer Art
die edelsten Baumgestalten, die Europa aufzuweisen hat. Auch die
übrigen Bestandtheile der Waldformationen, die Sträucher, die das
Unterholz bilden, die Schlinggewächse, die Gräser, die Stauden,
die den Boden bekleiden, die Pilze, die meistens in den Herbstregen
ihr flüchtiges Dasein beginnen und beschliessen, sind sowohl durch
das Klima als durch den Boden an eine bestimmte Vertheilung gebunden,
und, indem sie zugleich von der Beleuchtung abhängen,
welche ihnen bald im tiefen Schatten entzogen ist, bald in den verschiedensten
Abstufungen zu Theil wird, kann sich hier eine Mannigfaltigkeit
der Bildungen entwickeln, die den Baumarten selbst abgeht.
Doch nur die lichteren Laubhölzer sind reich an diesen Schattengewächsen.
Die geschlossenen Nadelwälder lassen sie nicht auf-
kommen. Von der Beleuchtung ist es abhängig , ob sie überhaupt
Unterholz besitzen. In den hochnordischen Fichtenbeständen an der
Petschora 110) findet sich dasselbe durch Birken. Weiden und die
grüne Erle [Ainus fruticosa), durch Vaccinien und andere Beeren
tragende Sträucher vertreten; die dichteren Kieferwälder zeigen
am Boden nur einen weissen Lichenenteppich oder eine Decke von
Laubmoosen. Es ist, als ob die kryptogamischen Formationen der
arktischen Tundra sich diesseits der Baumgrenze in den kühleren
Schatten des Waldes zurückzögen.
Auf den offenen Flächen der baltischen Ebene und Russlands
nehmen die Gesträuchformationen der Haiden und Sümpfe einen ver-
hältnissmässig weiten Raum ein und müssen zum grossen Theil als
ursprüngliche oder doch frühzeitig entstandene Bildungen aufgefasst
werden. Die Haiden der baltischen Ebene sind fast nur von Calluna
bewachsen, die wenige und meistens nur vereinzelte Gewächse neben
sich aufkommen lässt. An den russischen Grenzen verliert sich all—
mälig die offene Calluna-Haide, sporadisch erscheint sie noch am
Onega-See und häufiger in Litthauen. Wir haben schon gesehen,
dass dieselben Eriken oder die die Calluna vertretende Glockenhaide
[Erica Tetralix) sowohl den trockenen Boden, als die Hochmoore des
Westens bekleiden. Die Hochmoore 98) sind eben dadurch von den
Wiesen und Waldmooren unterschieden, dass ihre nach und nach
sich wölbende Torfmasse fast nur aus der Humusbildung von Eriken
hervorgeht, indem neue Generationen auf den durch die Verwesung
unter Wasser aufgespeicherten und nun durch den Wechsel der
Jahreszeiten unverweslich gewordenen , organischen Stoffen ebenso
gut wie auf einer unorganischen Erdkrume fortzuwachsen fähig sind.
Da der Torf oft bis zu beträchtlicher Tiefe die Senkungen des Bodens
ausfüllt und ausser dem, was seine Asche liefern könnte oder der
Wind mit seinem Staube herbeiführt, von mineralischen Bestandteilen
frei bleibt, so erkennt man, wie gering die Ansprüche der
Eriken an die gelösten Nährstoffe sind, welche sie mit der Feuchtigkeit
aufsaugen. Ebenso arm ist in der baltischen Ebene dei sandige
Boden der Diluvialformation, und hierin liegt ohne Zweifel das
Uebereinstimmende in den Vegetationsbedingungen der Haiden und
Moore, so dass die Eriken jedes andere Gewächs überwuchern und
verdrängen^ dass sie sich der Oberfläche fast vollständig bemächtigen.
Indessen sind die Eriken des Hochmoors doch schon minder gesellig