nicht höher als in Nordeuropa, oder nur um einen oder wenige
Grade-*7). Hiedurch kann der verschiedene Charakter der Vegetation
nicht erklärt werden, auch wenn weitere Beobachtungen zeigen sollten,
dass dieser Werth in östlicher gelegenen Meridianen nach Abzug
des winterlichen Stillstandes sich nicht wesentlich ändere. Der
Unterschied in den Wirkungen der Temperatur auf die Vegetation
in Nord- und Südeuropa liegt nicht darin, dass hier ein Grenzwerth
überschritten wird, sondern in dem erweiterten Spielraum für die
Dauer der Entwickelungszeit, weil die südlichen Pflanzen mit ungleichen
Kräften in die trockene Jahreszeit eintreten und daher eine
weit grössere Mannigfaltigkeit der Formen möglich wird. Wäre es
die Winterkälte allein, die sie zurückhält, in ein nördliches Klima
einzudringen, so würden sie an den atlantischen Küsten ihr Gedeihen
finden, und dass dies bei manchen der Fall ist, lehrt ihre Verbreitung.
Andere bedürfen einer längeren und mit der Wärme unseres
Sommers verbundenen Entwickelung, und diese sind es, die gegen
die trockene Jahrszeit am besten geschützt sind. Dann giebt es
wiederum andere, die gleichsam rasch vorübereilend die Erde mit
vergänglichem Blüthenschmuck bekleiden, aber entweder einer langen
Vorbereitung in ihren unterirdischen Organen bedürfen (Zwiebelgewächse),
oder auch nur, an bestimmte Phasen der Temperaturkurve
gebunden, sich in anderen Zeiten gleichgültig ruhig verhalten
(annuelle Pflanzen). So kommt es, dass der Wechsel der in den
einzelnen Monaten bedeutender hervortretenden Pflanzenformen viel
grösser ist als im Norden, und dass der Anfang und Schluss der
Vegetationsperiode sich viel schwieriger bestimmen lässt, weil er für
die verschiedenen Formen so ungleich ist. Wie im Norden die Frühlingspflanzen
anderen Bedingungen unterworfen sind als die Hauptmasse
der Vegetation, so scheidet sich die Flora Südeuropas in zahlreichere
Gruppen, denen eine eigenthümliche Entwickelungsperiode
bald von kürzerer, bald von längerer Dauer zukommt.
In dieser Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, worauf der
grössere Formenreichthum der Mdditerranflora beruht, lässt sich das
allgemeine Gesetz nicht verkennen, dass die Vegetation imFrühlinge
bei Weitem kräftiger sich entwickelt als im Herbste. In den Frühling
fällt die Bltithezeit der meisten Gewächse. Diese Jahrszeit kann
man in dieser Beziehung mit dem Sommer des Nordens vergleichen,
die Herbstbliithen dagegen mit unseren Frühlingspflanzen. Zwischen
beiden liegt in Nizza, ob auch der December hier ebenso warm sein
möge, wie der Februar, eine Periode, in welcher fast keine Blumen
zu erblicken sind-*8). Es leuchtet ein, dass dieser Stillstand der Entwickelung
nicht unmittelbar durch die Temperaturkurve des Winters
zu erklären ist. Feucht ist der Erdboden genug, im Herbst wie im
Frühling, die Wärme des November (io°j ist ebenso hoch, wie im
April, und doch gleichen im ersteren Monate die Eindrücke desPflan-
zenslebens unserem Spätherbst, im letzteren prangt die Landschaft
von frisch belaubten Bäumen und von reichstem Blüthenschmuck.
Es fragt sich also, welche klimatische Ursache dies bewirken kann,
warum die Bäume mit periodischer Laubentwickelung im December
in Nizza blattlos dastehen und selbst die immergrünen, wie der Oel-
baum und die Orange, gerade im Januar neue Blätter treiben. Wenn
das Klima dabei überhaupt mitwirkt, so kann der Unterschied nur
darin bestehen, dass die Wärme bis zur Jahreswende sinkt und mit
dem Januar wieder zu steigen anhebt. Es ist bekannt, dass Gewächse,
die gegen die Temperatur empfindlich sind, bei steigender
und sinkender Wärme sich verschieden verhalten. Dies zeigt sich
schon bei denjenigen Bäumen unseres Klimas, die bei derselben
Temperatur im Frühlinge ihre Blattknospen entwickeln, bei welcher
sie im Herbste den Laubabfall durch Entfärbung des Grüns und
durch Gliederung des Blattstiels vorbereitend). Aber wenn jede
Phase der Entwickelung an das Eintreten bestimmter Temperaturgrade
geknüpft ist, so liegt in dieser Erscheinung doch etwas Räth-
selhaftes. Man kann.sagen, dass die Wachsthumsphasen nicht bloss
von der Wärme und Feuchtigkeit, sondern auch davon abhängen, in
welchen Zustand der Organismus durch die vorausgegangenen Bil-
dungsprocesse versetzt wurde, aber hier scheint, wie bei den Wanderungen
der Zugvögel, nicht bloss das Vergangene, sondern auch
das Zukünftige einen Einfluss auf das organische Leben auszuüben.
Oder wenn es das Vergangene wäre, könnten es nur die Eindrücke
sein, welche frühere Generationen des Gewächses empfingen, und die
in dem Entwickelungsgesetze ihres Samenkorns erhalten sind, wie der
Trieb des Vogels, zu bestimmter Zeit zu wandern, sich von einer
Generation zur anderen forterbt. Man sieht ein, dass, wenn die
Blüthenbildung eines Baumes einer höheren Wärme bedarf als die
ihr vorausgehende Laubentfaltung, diese Bedingung in der sinkenden
Temperaturkurve des Plerbstes nicht erfüllt werden würde, aber wie
kommt es, dass die Blattknospen, die sich doch während des Winters
nicht zu verändern scheinen, vor dessen Eintritt bei derselben