gethaut war. Jedes Hemmniss, welches das unterirdisch abfliessende
Schneewasser im Innern der Erde an Gesteinen findet, die es nicht
durchlassen, wirkt nachtheilig' auf die Oberfläche, indem es den Abfluss
verlangsamt. Dennoch genügt, wie gesagt, die Sommerwarme
überall, den Schnee von dem Flachlande, wenn auch erst spät, zu
entfernen.
Auf der Neigung des Bodens beruhen die grössten Gegensätze,
welche die arktische Natur hervorzurufen vermag. Es giebt einen
Fall, wo das Gefälle des Wassers der Erwärmung der Oberfläche
nicht bloss nicht nachtheilig ist, sondern sie sogar erhöht.
Wenn auf einer wagerechten Ebene das Schneewasser nach abwärts
nicht abfliessen kann, sei es dass der Untergrund es nicht
durchlässt oder dass die Wärme zu gering ist, um den Boden bis zu
angemessener Tiefe aufzuthauen, so bilden sich im Sommer feuchte,
sumpfige Flächen, deren Temperatur wegen der Nähe des unterirdischen
Eises nicht über den Gefrierpunkt steigen kann. Solche
Ebenen, deren geringe Bodenwärme dem Pflanzenleben höchst nachtheilig
ist und nur die ärmlichste Vegetation zulässt, werden Tundren
genannt; sie sind die eigentlichen Polarwüsten Sibiriens, die, für den
Menschen unbewohnbar, auch den weidenden Thicren keine Nahrung
gewähren. Wir werden späterhin sehen, wie gering die Tiefe
ist, bis zu welcher diese ebenen Tundren im Sommer aufthauen6).
Wenn aber der Boden gewölbt ist, ohne dass die Erhebung desselben
die Linie des ewigen Schnees erreicht, und wenn daher das
auf der Oberfläche herabrinnende Wasser mit deren Entblössung versiegt,
so treten von nun an für die Vegetation die vortheilhaftesten
Bedingungen ein, weil das trockene Erdreich von den Sonnenstrahlen
stärker erwärmt wird als das feuchte, und weil von dieser Warme
um so weniger wieder verloren geht, je tiefer dasselbe bereits auf-
gethaut ist. Kommt dazu noch eine günstige Exposition gegen die
Sonne, und je weiter diese den Horizont umkreist, um so verschiedeneren
Lagen sendet sie ihre Strahlen, so wird der höchste klimatische
Werth erreicht, der in dem Gebiete der arktischen P lora möglich
ist, die verhältnissmässig grösste Wärme des Bodens und das längste
Zeitmaass für die Entwickelung der Pflanzen. Die 1 haibetten der
grossen Flüsse, die vom Inneren beider Kontinente aus in das Eismeer
sich ergiessen, stehen in diesem Verhältniss und bieten unmittelbar
am Saume der Tundren die besten Weidegründe, die der
Samojede Sibiriens, im Sommer nach Norden ziehend, mit seinen
Heerden aufsucht. Die sanfte Böschung, die den Flussthälern des
Tieflands eigen ist, giebt ihnen den Vortheil des ebenen Bodens,
dass ein bedeutender Theil des Schneewassers in dem unterirdischen
Eise verschwindet. So findet sich auch in der berühmten Schilderung
der Vegetation von NowajaSemlja, welche Baer entwarf, die Bemerkung,
dass die ebene Polarfläche einer Wüste, der geneigte Boden
am Fuss der Berge, wenn er nicht Schnee- oder Gerölllager sei, einem
Garten gleichen könne.
Den äussersten Gegensatz zu solchen Thalgründen bildet das
eisbedeckte Innere von Grönland, wo die Exposition dieselbe sein
kann, aber das Gebirge sich über die Schneegrenze erhebt und seiner
Erhebung gemäss statt flacher Mulden steilere Berggehänge entwickelt.
Ein grosser Theil von Grönland liegt tiefer als das Niveau
des ewigen Schnees, der die Randgebirge der Westküste deckt, und
so hat von Alters her sich hier eine zusammenhängende Masse von
Gletschereis über das ganze Land, so weit man hat eindringen können,
ausgebreitet1), welches in einer Reihe von Thaleinschnitten
sich westwärts zur Baffinsbai bewegt und hier, in das Meer stürzend,
jene schwimmenden Eisberge entladet, die, durch die Strömungen
nach Süden getragen, erst in viel niedrigeren Breiten zur Schmelzung
gelangen. Grönland ist das einzige Polarland, welches wegen des
überwiegenden Einflusses der Schneegebirge nur seine Küsten dem
organischen Leben öffnet. Wenn man sicht, wie sehr die grönländische
Vegetation unter dem Einflüsse hoher Gebirgserhebungen
eingeschränkt und wie die der grossen Kontinente durch die sanfte
Gestaltung der Flussthäler gefördert wird, so erinnert man sich an
das ähnliche Verhältniss in den Alpen, wo die zerstörenden Gletscher
sich unmittelbar mit blumenreichen Matten zu berühren pflegen.
Die grössten Gegensätze der arktischen Natur beruhen demnach
auf der plastischen Bildung des Bodens. Das Meer, welches weiter
südwärts die Klimate sondert, hat innerhalb des Gebiets einen verhältnissmässig
geringen Einfluss auf die Vegetation, obgleich es, in
der mannigfaltigsten Weise die Polarländer berührend und scheidend,
durch seine Eismassen und durch die Strömungen, die sie bewegen,
mittelbar für den Haushalt der arktischen Zone und für das Gleichgewicht
der Lebensbedingungen von der entscheidendsten Bedeutung
ist. Das Treibeis, welches es herbeiführt, übt auch einen unmittelbar
erkältenden Einfluss auf die Küsten, an denen es sich anhäuft, aber
der Charakter der Vegetation ist da, wo es fast niemals verschwindet,