Entwickelungsperiode der Eiche zeigen, dass dieser Baum sich in
doppelter Beziehung anders verhält wie die Buche. Um sich zu
belauben, fordert er eine etwas höhere Temperatur (9 — io° R., in
Brüssel nur 8°,25), im Herbste dagegen verliert er die Blätter erst,
wenn die tägliche Wärme tiefer gesunken ist als zu Anfang der
Vegetationsperiode. Im westlichen Europa ist dieser Unterschied
schon bemerklich, aber derselbe steigert sich an der Polargrenze
sehr bedeutend: denn in Brüssel entlaubt sich die Eiche bei 6°, in
Petersburg erst, wenn das Thermometer bereits unter 2 0 gesunken
ist26). Hiedurch wird es diesem Baume möglich, so viel weiter
als die Buche in das Klima Russlands einzudringen, obgleich die
Vegetationszeit fast dieselbe ist. Die Eiche fordert ein bestimmtes
Maass solarer Wärme, aber während der letzten Zeiträume, in
denen das Laub noch thätig ist, kann sie sich mit dem begnügen,
was die in östlicher Richtung rascher sinkende Temperaturkurve
ihr übrig lässt.
Auf die Eichenwälder folgt im Norden und Osten der Gürtel
der Nadelhölzer, welcher im europäischen Russland den übrigen
Raum bis zur Baumgrenze ausfüllt und jenseits des Ural durch ganz
Sibirien an den Amur und zur Küste des Meers von Ochotsk reicht.
Da sich eine ähnliche, der Temperatur entsprechende Anordnung in
den Hochgebirgen wiederholt, wo die Coniferen die oberen, die Laubwälder
die tieferen Waldregionen bilden, so kann die klimatische
Bedeutung in jenem Verhältniss nicht verkannt werden. Aber die
immergrünen Nadelhölzer eignen sich nicht zu Beobachtungen über
die Dauer der Vegetationsperiode. Wiewohl auch sie ihre Nadeln
im Frühlinge erneuern, so fehlt doch ein Zeitmaass, den Abschluss
ihrer Entwiekelung im Herbste zu bestimmen, und ihre grünen Organe
sind bereits in Thätigkeit, bevor sie anfangen, durch neue Bildungen
ersetzt zu werden. So können wir auf die klimatischen Bedingungen
der immergrünen Coniferen nur aus den sie begleitenden
Gewächsen schliessen, denen eine strengere Periodicität zukommt,
und hiezu bieten sich unter den Bäumen des nordöstlichen Waldgürtels
die Birke und die Lärche dar. Die Polargrenze der Birke
[Betida alba) ist mit der der immergrünen Nadelhölzer nahe übereinstimmend,
die der Lärche geht in Sibirien darüber hinaus. Von
anderen Laubhölzern unterscheidet sich die Birke dadurch, dass sie
eines geringeren Maasses von solarer Wärme bedarf, um ihr Wachsthum
zu beginnen; sie belaubt sich schon, wenn die tägliche Wärme
über 6° R. steigt und verliert ihre Blätter, wenn im Herbste dieser
Werth nicht mehr erreicht wird2?). Sie verhält sich also ganz anders
wie die Buche und die Eiche, und dadurch ist sie fähig, bis zu
den baumlosen Polarländern vorzudringen. In Westeuropa dehnt
sich ihre Vegetationszeit über ein halbes Jahr aus, in Petersburg beträgt
sie noch fünf, in Lappland muss sie sich auf drei Monate beschränken.
Denn hier findet sich die Birke bis zur Baumgrenze, die
sie in Sibirien nicht erreicht [Norwegen 71 °, Samojedenland 66°,
Jenisei 69 ° ] 28). Der klimatische Grenzwerth ihres Wohngebiets ist
also dadurch bezeichnet, dass sie bis zum äussersten Maass, welches
das Leben der Bäume ertragen kann, ihre Entwickelungsperiode zu
verkürzen vermag. Da aber diese Verkürzung theils auf der Abnahme
der solaren Wärme mit der Polhöhe, theils auf den Wechselwirkungen
von Meer und Festland beruht, so erklären sich aus diesen
Momenten die Unregelmässigkeiten im Verlauf der Polargrenze, die
sich bei den immergrünen Nadelhölzern wiederholen. In Skandinavien
reicht dieselbe unter dem Einfluss des Golfstroms am weitesten
nach Norden, senkt sich von hier aus gegen das Samojedenland,
begleitet die nordrussischen Nadelwälder nur spärlich und folgt sodann
ostwärts in ziemlich gleichen Abständen der gewundenen Küstenlinie
Sibiriens, bis sie, zurückgedrängt durch das excessiveKlima an
der Lena, zu niedrigeren Breiten übergeht 29). Bei der Lärche ist die
Verkürzungsfähigkeit der Entwickelungsperiode noch grösser als bei
der Birke. Während sie in Westeuropa über 7 Monate lang ihre
Nadeln trägt 3°), bildet sie in Sibirien die Baumgrenze3I). Aber nicht
hierauf beruht es, dass sie daselbst über die immergrünen Nadelhölzer
und über die Birkengrenze hinausgeht, sondern auf einer
anderen Eigenthümlichkeit. Sie hat nämlich vor der Birke dadurch
einen Vorzug, dass sie noch grün bleibt, wenn die Temperatur schon
weit tiefer gesunken ist als zur Zeit ihres Ausschlagens. Bei Petersburg
verliert sie ihre Nadeln erst, wenn die tägliche Temperatur
unter den Gefrierpunkt fällt, in Westeuropa ist der Unterschied geringer.
Sie findet also eine Entwickelungszeit von drei Monaten bei
einer Temperaturkurve, wo der Birke kein solcher Abschnitt von
genügender Wärme mehr zu Gebote steht. Indem daher die Lärche
in ihrer klimatischen Sphäre die Eigenschaften der Birke und Eiche
vereinigt und noch weniger als diese beiden Bäume gegen Aende-
rungen der Entwickelungsperiode und gegen die Kälte am Schluss
derselben empfindlich ist, reicht ihr Wohngebiet über alle anderen