alpinen Centrum unterscheiden können. Hiedurch sehe ich die beiden,
schon bei den Regionen erwähnten Ergebnisse von Christ’s
Untersuchung Ir9) bestätigt, dass die Wanderung der arktisch-alpinen
Gewächse sowohl von Süden nach Norden, als auch in umgekehrter
Richtung stattfand, und dass sie durch den Einfluss des feuchteren
Bodens begünstigt worden ist. Der Bau der Alpen bietet zu Versumpfungen
desselben selten einen Anlass, die Ebenen der Fjelde
und der arktischen Zone haben eine träge Wassercirculation, und
diesem Gegensätze physischer Bedingungen scheint es zu entsprechen,
dass im hohen Norden vorzugsweise Gewächse der feuchten Standorte
entstanden sind, die sich von hier aus nach Süden verbreiteten,
und dass hingegen die Alpen durch die Mannigfaltigkeit von Pflanzen
trockenen Felsbodens hervorragen. Die Zwergbirke Norwegens findet
sich in einzelnen Sümpfen des Harzes und der Sudeten, aber so
allgemein sie in die feuchten Niederungen Russlands eindringt, so
bleibt sie doch den Alpen fast gänzlich fremd, obgleich sie zu Wanderungen
hinlänglich befähigt war, um den Jura und die bayerische
Hochebene zu erreichen.
Die Anordnung der Pflanzen in den Alpen selbst ist in viel geringerem
Grade durch die klimatischen Bedingungen und durch die
geognostische Unterlage als durch die ursprüngliche Vertheilung
ihrer Vegetationscentren geregelt. Zuccarini l83) war der Erste, der
dieses Verhältniss in dem Gegensätze der Flora der Ost- und Westalpen
erkannt hat. Er zählte eine Reihe von Pflanzen auf, deren
Wohngebiete in Tirol durch die Thäler der Eisack und Etsch geschieden
sind, und von denen er annahm, dass die westlichen von
dem Orteier, die östlichen vom Glöckner aus sich ausgebreitet haben,
ohne jenen Einschnitt des Gebirgs überschreiten zu können. Diesen
Andeutungen liegen allgemeinere Erscheinungen zu Grunde. Durch
eine grosse Anzahl von endemischen Erzeugnissen sind in der südlichen
Hauptkette die westlichen und östlichen Theile der Alpen von
einander abgesondert, in der Centralkette bieten die in der Mitte gelegenen
Gruppen der Schweiz und Tirols im Vergleich zum Dauphiné
und Steiermark wenig Eigentümliches. Der für die südlichen Alpen
so bezeichnende Endemismus ist namentlich darin ausgesprochen,
dass der Gardasee und das Etschthal vielen Arten eine Grenzlinie
setzen, die von Westen oder Osten bis hieher verbreitet sind, und
dass die Vegetation der Endglieder, auf der einen Seite des Dauphiné
und Piemonts, auf der anderen von Krain und Illyrien am weitesten
von einander abweicht. In der centralen Alpenkette richtet sich
dagegen die Anordnung der Pflanzen bei Weitem mehr als in der
südlichen nach den Bodeneinflüssen, nicht aber in gleichem Grade
nach der geographischen Lage. Hier ist der Reichthum einer Alpe
an verschiedenen Pflanzen vom Bau der Thäler, von der Bewässerung
und ähnlichen Bedingungen abhängig, die ergiebigsten Fundorte
sind regellos vertheilt. So werden die Oezthaler Ferner von
den Tauern Kärnthens und ebenso sehr von gewissen Alpen des
Engadin, das Berner Oberland und der Montblanc von der Gruppe
des Monterosa an Mannigfaltigkeit der alpinen Pflanzen weit über-
troflen. Allein auch die reichsten dieser Standorte sind nicht durch
endemische Erzeugnisse bezeichnet, sondern nur durch die grössere
Anzahl der daselbst angehäuften Arten, die auch an anderen Orten
wiederkehren. Das Nicolaithal am Monterosa ist zwar das pflanzenreichste
der Schweiz, aber doch nicht als ein Vegetationscentrum in
dem Sinne aufzufassen wie die Dolomitalpen im Osten des Etschthals.
Die nördliche Hauptkette verhält sich ähnlich wie die centrale.
Der Wiener Schneeberg und die Grande Chartreuse im Dauphiné
sind als Endpunkte der Kette zwar bevorzugt, aber der grössere oder
geringere Reichthum der Flora ist im Uebrigen vom geognostischen
Bau abhängig: die nördliche Schweiz mit ihren Nagelfluhen steht
an Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse den Kalkalpen Bayerns und
Salzburgs in auffallendster Weise nach. Das verschiedenartige Verhältniss
der drei Hauptketten lässt sich mit demjenigen vergleichen,
in welchem das ganze Alpensystem den Nachbargebirgen gegenübersteht,
in dem einen Falle die durch die centrale Lage begünstigte
Wanderung, in dem anderen die Beschränkung derselben
durch den Bau der einzelnen Gliederungen, durch die Absonderung
der alpinen Gruppen. Stellen wir uns vor, dass ursprünglich die
Entstehungsorte der Arten, die Ausgangspunkte der Wanderungen,
über das ganze System gleichmässig vertheilt waren, so befand sich
das Centrum in der Lage, durch die vielseitigeren Verknüpfungen
seine Erzeugnisse am leichtesten zu der Peripherie abzugeben, von
den Endgliedern einer Kette konnte hingegen der Austausch nur in
einer bestimmten Richtung vor sich gehen. Wäre die Vertheilung
der Alpenpflanzen vom Boden oder vom Klima allein abhängig, so
müssten die drei Hauptketten die verhältnissmässig grössten Gegensätze
zeigen. Aber in der südlichen Kette ist der geognostische Bau,
in allen drei ist das Klima ungenügend, die Absonderung der Arten
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. I. 2. Aufl. H