von den dem offenen Polarmeere gegenüberliegenden Landschaften
nicht wesentlich verschieden. Die Nordküste Islands erleidet freilich
in gewissen Sommern, in denen das Treibeis sie belagert, den Verlust
aller Hülfsquellen der Bewohner, aber dies sind nur periodische
Erscheinungen. Die Flora der offenen West- und der eisumgürteten
Ostküste Grönlands ist übereinstimmend ?). Vielleicht beruht die
Ausgleichung der Vegetation indessen nur darauf, dass die Höhen
an der Ostküste weniger Schnee tragen8) und die Gletscher das Meer
selten erreichen, welches daher hier von den grossen Eisbergen der
Baffinsbai fast ganz frei bleibt.
Wäre das Meer indessen nicht geeignet, durch seine Strömungen
das Polareis zu entfernen und das Klima der arktischen Küsten durch
den Austausch mit dem Wasser niederer Breiten zu massigen, ja bis
zu einem gewissen Grade auszugleichen, so würde die Sommerwärme
nicht genügen, die Bedingungen des Pflanzenlebens herzustellen.
Die wachsende Anhäufung der Eismassen hätte die Polarzone langst
vollständig, wie das Innere Grönlands, überdecken müssen. Indem
aber das Meer dieselben beständig fortschafft und in diesem Sinne
die Nachwirkungen der Winterkälte aufhebt, kommt die Sommerwärme
dem Festlande reichlicher zu Statten und wird nicht im
Schmelzen des Eises vergeudet. Der gleichartige Vegetationscharakter
der arktischen Flora beweist, dass diese mittelbaien Wii-
kungen der Strömungen, wiewohl sie zunächst nur im atlantischen
Meere in die Erscheinung treten, über das ganze Polarbecken sich
ausdehnen, und, um dies zu begreifen, ist es erforderlich den Bahnen
des Treibeises und der Eisberge einen kurzen Ueberblick zu widmen.
Auf offenem Meere bildet sich wenig Eis und auch dies nur von
geringer Stärke, weil Wind und Wetter es immer wieder zerstören
und wärmeres Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche treten kann.
Auch ist nach der verschiedenen Ausstrahlungsfähigkeit der festen
und der flüssigen Körper, durch welche auf dem Festlahde m der
langen Polarnacht die Temperatur zu den tiefsten Werthen herabsinkt
, die Winterkälte auf dem Meere weit geringer und das organische
Leben hoher Breiten daher in seinen Fluthen viel reicher und
mannigfaltiger entwickelt. Die arktischen Küsten sind es, an denen
die grossartige Eisbildung des Meerwassers stattfindet, abei auch
hier nur da, wo die aus dem Süden kommenden Strömungen sie nicht
verhindern. Das von den Kontinenten umschlossene Polarbecken hat
eine kreisähnliche Gestalt und bietet dem Austausch der Meeres-
Strömungen, die das Wasser von ungleicher Temperatur und Dichtigkeit
ins Gleichgewicht zu setzen streben, nur zwei Oeffnungen
dar, beide im atlantischen Meer, im Osten und Westen von Grönland.
Denn die Behringstrasse ist zu seicht, um das Eis nach der Siidsee
fortzuschaffen, das gerade in dem hier geöffneten Theile des Polarmeers
eine solche Stärke erreicht, dass es zuweilen bo-— 80 Fuss tief
in das Wasser eintaucht 9). Jenen beiden Oeffnungen nun entsprechen
zwei warme und zwei kalte Strömungen, die das Klima der hohen
Breiten mit dem der gemässigten Zone vermitteln. Durch die Rotation
der Erde werden die beiden ersteren an die westlichen, die beiden
letzteren an die östlichen Küsten des Festlands gedrängt, weil
jene nach Norden, diese nach Süden streben, und dies ist die Ursache
der Zugänglichkeit der Westküsten für die Schifffahrt im Norden
des atlantischen Meeres. Eine weite Strecke hin nach Norden
bleibt dieses eisfrei, im Bereiche des Golfstroms, der zwischen Nowaja
Semlja und Spitzbergen dem arktischen Strome mit seinen Eisfeldern
begegnet und im Westen der letzteren Insel den Wallfisch- und
Robbenfang bis zum 8 i . Breitengrade möglich macht. Ebenso ist es
in der Baffinsbai eine nach Norden gerichtete Strömung10), welche
die Kolonieen der grönländischen Westküste in leichte Verbindung
setzt, während der östliche Abschnitt dieses grossen Meerbusens
durch den vom Lancaster Sund kommenden und nach Labrador ab-
fliessenden arktischen Strom beherrscht wird. In die unerforschten
Umgebungen des Pols endlich muss man die den Austausch mit
dem Golfstrom vermittelnde arktische Strömung versetzen, die das
Küsteneis Sibiriens aus allen Meridianen zwischen Nowaja Semlja
und der Behringstrasse an die Nordseite Spitzbergens und weiter an
die Ostküste Grönlands führt, wo dessen Ursprung an dem mitgeführten
Treibholze bis nach Island hin erkannt wird, welches, aus
den nordasiatischen Wäldern stammend, mit den Flüssen von dort
aus in das Eismeer gelangte.
So gleichartig auch die Vegetation sowohl an den eisumsäumten
als den freien Küsten ihren Bestandtheilen nach entwickelt ist, so
übt doch auf den Umfang des Gebiets der arktischen Flora das
System dieser Meeresströmungen den umfassendsten Einfluss aus
und beweist hiedurch seine klimatische Bedeutung. Den arktischen
Pflanzenformen selbst genügt es, einige Wochen zu gewinnen, in
denen der Erdboden schneefrei ist, und hiezu reicht auf dem Flachlande
die Sommerwärme aus, wenn auch das Treibeis vortiberfluthet: