Auf der Melville-Insel (750 N.B.) hielt sich das Thermometer während
Parry’s Reise vom Juni bis zum August3) über dem Gefrierpunkte,
ebenso wie es in Spitzbergen der Fall ist, aber im Nordwesten
Grönlands, an der Küste von Smith’s Sund (787 »° N.B.)
erlebte es Kane, dass nur der einzige Monat Juli zu einer Mittelwärme
über o° sich hob und also allein das Schmelzen des Schnees befördern
konnte. Es ist jedoch noch ein anderes Verhältniss in Betracht
zu ziehen, welches auch unter so nachtheiligen Bedingungen die
Ebenen vor dem Gebirge bevorzugt und dazu beiträgt, die Wirkungen
des Schmelzungsprocesses zu Gunsten des an die Oberfläche des
Erdbodens gebundenen organischen Lebens zu erhöhen. Das durch
die Sommerwärme erzeugte Wasser fliesst auf der geneigten bläche
der Gebirge nach abwärts und ertheilt bald wieder erstarrend den
Schneekrystallen das körnige Gefüge des Firns, bis sich dieser, in
die Thäler hinabgesenkt, zu der Bildung der Gletscher verdichtet.
Ein grosser Theil des gebildeten Schneewassers bleibt somit an der
Oberfläche und verwandelt sich durch die unaufhörliche Berührung
mit demjenigen Schnee, der noch nicht geschmolzen, in Eis, welches
ebenfalls dem Pflanzenleben keinen Raum lässt. In dei Ebene hingegen
kann das Wasser durch die Schwerkraft nur in senkrechter
Richtung in die Tiefe gelangen, es durchdringt rasch die tieferen
Schneelagen und verschwindet im Untergründe, wo es der Mittelwärme
des Klimas entsprechend zwar ebenfalls zu Plis wieder erstarren
kann, aber in Eis, welches, mit den unterirdischen Gesteinen und
Erdkrumen gemischt, auf die von der Sonne bestrahlte Oberfläche
keinen erkältenden Einfluss übt, wie der Firn und das Gletschereis.
Hier wird also das Wasser, welches die Temperatur des Gefrierpunktes
besitzt, denjenigen Räumen, die unter dem erwärmenden
Einflüsse der Sonne stehen, auf dem kürzesten Wege und vollständig
entzogen, und da diese Vorgänge unaufhörlich foitschreiten, so
lange^dasSchmelzen des Schnees anhält, so wird die Zeit gewonnen,
welche zur Entblössung der Oberfläche erforderlich ist. In dem einen
Falle theilt sich die Kraft der Sonne, ausser dem Schnee auch den
Firn und den Gletscher zu schmelzen , in dem anderen bildet sie
Wasser, das wieder verschwindet, und das, wenn es aufs Neue gefriert
, ihren Strahlen entzogen ist, die in die Tiefe des Erdbodens
nicht eindringen. DerZeitraum, bis der gefallene Schnee vollständig
entfernt ist, verkürzt sich hinlänglich, um den Organen der Vegetation,
die der Befreiung harren, wenigstens noch einige Wochen zu
ihrer Entwickelung übrig zu lassen. Bei gleich niedrigen Sommertemperaturen
wird demnach der ewige Schnee der Gebirge in den
arktischen Ebenen durch unterirdisches Eis ersetzt, und es wird eine
oberflächliche Bodenschicht frei gegeben, deren Temperatur den
Ansprüchen des vegetativen Lebens genügen kann.
Unter allen Breiten ist es nur der geneigte Boden, der Schnee
und Eis an der Oberfläche dauernd anhäuft, aber in den arktischen
Gegenden ist die Lage der Schneelinie grösseren Schwankungen
unterworfen, weil ihre Bedingungen so verwickelter Natur sind. Zu
den Einflüssen der Feuchtigkeit der Atmosphäre, der Gestaltung des
Gebirgs, der Lage des unterirdischen Eises , die sämmtlich auf die
Zeit einwirken, innerhalb deren die Sommerwärme zur Beseitipuno-
des Schnees hinreichen kann, gesellen sich noch die Nachtheile,
welche aus der schiefen Richtung der Sonnenstrahlen entspringen.
Hiedurch wird nicht bloss die Wärme vermindert und in verschiedenen
Höhen gleichmässiger, sondern auch der beschattete Raum,
den die Bergkuppen verdecken, ungemein vergrössert. In dieser
Hinsicht hat die wagerechte Ebene den grossen Vorzug, dass sie,
abgesehen von den Wolken, völlig schattenlos ist, und daher das
Maass der Wärme, welches der tiefe Sonnenstand ihr zu bieten vermag,
gleichmässig und vollständig zu ihrer Befreiung verwendet.
Das unterirdische Eis , welches einen so hervorstechenden Zueo
der nordischen Natur bildet, ist seiner Lage nach nicht, wie der ewige
Schnee, von den Jahreszeiten, sondern von der mittleren Temperatur
des Erdbodens abhängig und reicht daher in Sibirien und
Nordamerika weit über die Grenzen der arktischen Flora in das Innere
des Waldgebiets. Seine untere oder Tiefen-Grenze entspricht,
wenn es sich frei entwickeln kann, derjenigen Bodenschicht, wo das
Thermometer dauernd auf dem Gefrierpunkte steht. Aber diese
Tiefe, bis zu welcher das Eis in die Erde eindringt, richtet sich nicht
nach der Temperatur allein, sondern zugleich auch nach der Beschaffenheit
des Bodens, je nachdem derselbe das Wasser durchlässt oder
zurückweist, aus dem es sich gebildet hat. Im lockeren Erdreich
Sibiriens reicht es bis zu ungleich grösseren Tiefen als in den anstehenden
granitischen Gesteinen des nördlichsten Amerikas. In
Jakuzk ist der Boden bis zu einer Tiefe von 670 Fuss gefroren 4) , in
derselben Breite (62°) fand Richardson s) am Mackenzie, im Innern
von Nordamerika, nur eine 6 Fuss dicke Schicht, die Eis führte,
nachdem das Erdreich über derselben im Sommer 11 P'uss tief auf