XII Vorwort.
physischer Lebensbedingungen, sondern auch eine Thatsachc der
Erdgeschichte. Jede Pflanzenart hatte eine bestimmte Pleimath,
ihr heutiges Vorkommen war von ihrer Fortpflanzung und Ausbreitung
abhängig. Hieraus entspringt die doppelte Aufgabe, dasselbe
entweder von vergangenen Zuständen oder aus beständig
fortwirkenden Kräften abzuleiten, und nur, wenn beiden Richtungen
genügt wird, wenn da, wo Klima und Boden dem Wachsthum
einer Pflanze keine Schranke setzen, die geologische Geschichte
der Organismen in ihr Recht tritt, kann ihre Anordnung
richtig verstanden werden.
Die Geologie ist ein Gemeingut geworden, ihre Bedeutung
für unser Kulturleben allgemein anerkannt. Warum sollte nicht
auf einem naturwissenschaftlichen Gebiete, das noch viel tiefer
in alle menschlichen Interessen eingreift, eine gleiche Empfänglichkeit
für Forschungen zu erwarten sein, durch welche das gelehrte
Studium zu der Würde einer gesellschaftlichen Aufgabe
erhoben wird? Denn hier gilt es nicht bloss, ein wissenschaftliches
Geheimniss zu lüften, sondern den Sinn einer Landschaft
zu deuten, aus welcher der Künstler die Studien zu seinen Gebilden
schöpft, oder den Boden zu beurtheilen, aus dem der
Landmann sein Brod, das Gewerbe die Gaben der Natur erwirbt,
oder endlich die Gesetze zu verstehen, die den Welthandel
mit den Erzeugnissen des Pflanzenreichs beherrschen. Mit
Bewusstsein in den Schauplatz der Natur einzutreten und in ihrer
gesetzmässigen Ordnung Einsicht, Genuss und Frieden zu suchen,
ist mir bei diesen Forschungen ein Trieb des Gemüths und dadurch
eine Quelle des Glücks gewesen. Bei der Zusammenstellung
ihrer Ergebnisse habe ich daher nach einer Darstellungsweise
gestrebt, durch welche ich, die Voraussetzung von botanischen
Fachkenntnissen möglichst einschränkend, auch m weitern
Kreisen Antheil an dieser Seite der Naturbetrachtung zu wecken
wünschte. Blosse Schilderungen und Beschreibungen der durch
ihre Vegetation geschiedenen Landschaften vermögen eine solche
Befriedigung nicht zu gewähren. Die Thatsachen können kurz
und bündig ausgesprochen werden, wenn sie in Messungen bestehen
oder aus vergleichenden Merkmalen sich entnehmen lassen.
ihre Bedeutung im Haushalte der organischen Natur erst giebt
den gewonnenen Vorstellungen ihren Reiz und den Zaubei dei
Erkenntniss.
Um die Vergleichung der in der Literatur zerstreuten Angaben
zu erleichtern, wurden alle Maassbestimmungen auf den Paiisei
Fuss, die geographische Meile (15 : i°) und die Temperaturweithe
auf die Reaumursche Skala zurückgeführt.
Für die Ausführung der beigefügten Uebersichtskarte der
Vegetationsgebiete bin ich dem Professor Dr. Petermann verbunden,
der den ersten Entwurf derselben bereits früher in seine »Mittheilungen
« (Jahrg. 1867. Taf. 4) aufnahm und die jetzige veibes-
serte Redaktion gleichfalls ausgeführt hat. In dieser Gestalt schien
mir die Karte einer besondern Erläuterung nicht zu bedürfen, da
sie nur den Zweck hat, den Umfang der Gebiete, auf welche sich
die einzelnen Abschnitte des erks beziehen, zui Anschauung zu
bringen und dadurch der Erörterungen über ihre Grenzen mich zu
überheben, die im Texte nicht ohne Weitschweifigkeit gegeben
werden könnten. Auch das Kolorit sollte den Ueberblick über die
Vegetation der Erde vereinfachen: für die bewaldeten Gegenden
wurden grüne, für die Steppen und Wüsten gelbe und lothe, für
die weniger einförmigen Bekleidungen des Bodens andere Paiben-
töne gewählt. Die Kleinheit des Maassstabes gestattete indessen
nicht, auf die klimatischen Gegensätze innerhalb der einzelnen
Vegetationsgebiete Rücksicht zu nehmen.
Göttingen, September 1871.