unter denen die immergrünen Sträucher der arktischen Flora und der
alpinen Region stehen, in dieser Beziehung noch ungünstiger, so ist zu
erinnern, dass dieselbe Organisation entgegengesetzten Verhältnissen
angepasst sein kann und dieselben Mittel den verschiedenstenZwecken
dienen. Aber hier kommt zugleich in Betracht, dass die Aehnlich-
keit des Baus zum Theil wenigstens nur scheinbar ist, dass das
Aeussere eines Blatts und die Festigkeit seines Gewebes noch nicht
dariibei entscheidet, wie lange es besteht, und es wurde bereits an-
gefiihrt, dass die Alpenrosen und andere immergrüne Sträucher aus
dei Familie der Ericeen im kälteren Klima durch den Schnee, der
sie bcgiäbt, und durch das Harz, welches sie ausscheiden, gegen die
lange Unterbrechung ihrer Funktionen und gegen den Winter geschützt
werden. Die immergrünen Gewächse des Südens sind dagegen
höchst empfindlich gegen den Frost, sie gehören zu den verschiedensten
Familien, bei denen die ausgeschiedenen Stoffe ungleich
sind, ihre Blattknospen haben keine Schutzorgane gegen die Kälte,
und auch ihre Entwickelung scheint unter einem verschiedenen Bildungsgesetz
zu stehen. Eine Pflanze ist immergrün, wenn die alten
Blätter zur Zeit, wo die neuen Laubtriebe sich entfalten, noch nicht
abgestoiben sind, aber dabei kann die Dauer der Funktionen eines
Blattes doch sehr ungleich sein. Bei den Alpenrosen erhalten sich
die Blätter zwar länger als ein Jahr, aber die längste Zeit ihres Bestehens
fällt auf den Winterschlaf, wo ihre Funktionen ruhen. Bei
den immergrünen Gewächsen am Mittelmeer dehnt sich die Thätig-
keit der Blätter über einen langen Zeitraum aus, sie erneuert sich
im Ileibste und währt fort, wenn in den kältesten Monaten des Jahrs
periodisch die Laubknospen sich entfalten. Es fehlt an Beobachtungen
, wie lange das einzelne Blatt sich erhält und thätig zu sein
fortfährt, aber dass die Dauer der Funktionen einen langen Zeitraum
hindurch anhält, ist gewiss, und in keinem Fall schadet die Dürre
des Sommers, die sie unterbricht, dem Fortbestehen ihrer Lebenski
aft. In dieser Jahrszeit stockt der die Gewebe ausspannende Saftstrom,
und wie die Organisation-gerade dieser Schädlichkeit begegnet,
wurde schon früher angedeutet und ist nun weiter auszuführen.
Wenn die Verdunstung der Blätter fortdauert und in trockener Luft
sogar gesteigert wird, ohne dass der Wasserzufluss aus dem Boden
den Saftverlust ausgleicht, ziehen sich mit abnehmender Schwellung
des Gewebes die Membranen zusammen, und wenn dies in zarten,
flächenartig gestalteten Blattorganen geschieht, wo die Zerrungen je
nach den Durchmessern ungleich sind, werden Zerreissungen oder
Kräuselungen eintreten, bei denen die Organisation zu Grunde geht.
Diese Wirkungen zeigen sich in der Entlaubung tropischer Savanen-
bäume während der trockenen Jahrszeit. Das immergrüne Blatt aber
widersteht diesen Einflüssen. Denn die Verdunstung wirkt nur auf
diejenigen Zellen, die, wie die Oberfläche verdunstenden Wassers,
mit der atmosphärischen Luft in unmittelbarer Berührung stehen.
Je mehr die Zellen der Oberhaut an der Aussenfläche verdickt sind,
desto vollständiger werden sie gegen die Verdunstung geschützt, die
sie an zartblättrigen Pflanzen ihres Saftes berauben kann. Den
eigentlichen Heerd der Verdunstung bilden die Lufthöhlen der Blätter,
die nur durch die Spaltöffnungen mit der Atmosphäre in Verbindung
stehen. Da aber diese mikroskopischen Eingangspforten
der Luft sich bei geminderter Schwellung der Zellen verschliessen,
so ist ein Blatt mit hinlänglich verstärkter Oberhaut gegen die Verdunstung
vollständig abgeschlossen, und in diesen Zustand versetzt
also die trockene Jahrszeit die immergrünen Gewächse. Sie bewahren
ihren Saft, ihr Gewebe bleibt unverändert, aber auch ihre Ernährung
hört auf, und in diesem ruhenden Zustande verharren sie,
bis die Herbstregen den Saftumtrieb wieder einleiten und nun die
Zellen wieder schwellen und die Spaltöffnungen die Luft wieder einlassen.
Hierauf beruht es, dass das immergrüne Blatt von der Dürre
nicht leidet, und wenn es auch im Sommer an der Tiefe der Färbung
verliert, weil die Saftkügelchen sich in den Umgebungen des abgeschlossenen
Luftraums nicht erneuern, so kann es doch, sobald der
Atmosphäre der Zugang wieder geöffnet ist, seine bildenden Processe
wieder aufnehmen. So erklärt es sich, dass dieBlüthe desOelbaums
vor der trockenen Jahrszeit, und die Fruchtreife erst nach derselben,
im Herbste, stattfindet, dass die Vegetationszeit nicht bloss die erste,
sondern auch die zweite Hälfte des Jahrs umfasst, und dass also Gewächse
von solchem Bau, indem sie schon im Januar ihre jungen
Triebe entfalten, die Vortheile des südlichen Klimas in vollem Umfange
ausnutzen. Im nördlichen Europa würden sie, wenn sie auch
dessen Winterkälte zu ertragen vermöchten, doch nicht bestehen
können, wenn sie einer so langen Periode des Wachsthums bedürften.
Wo sich diese, wie am Bosporus und auf dem kastilischen
Hochlande, verkürzt, finden wir die Grenze der Olivenkultur, und
so ist der Oelbaum in dem grössten Theile des Gebiets ein genauer
Ausdruck von dessen klimatischer Sphäre, während er in gewissen
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. I. 2. Aufl. j g