Die Erde kühlte sich allmälig in der Richtung vom Pol zum Aequator
ab, nachdem sie ursprünglich überall gleich warm gewesen war. Am
nächsten liegt, diese Erscheinungen von der fortschreitenden Ausstrahlung
der eigenen Erdwärme und von der Erweiterung des Festlandes
abzuleiten. Das Meer konnte in den ältesten I eiioden so sehr
überwiegen, dass, indem ein viel grösserer Antheil des Wasservor-
raths verdunstete und die Atmosphäre erfüllte, die Sonnenstiahlen
auf den von Nebeln verhüllten Planeten wenig wirken konnten und
die Eigenwärme desselben daher ein gleichmässiges Klima hervorrief.
Je mehr sich die Wassercirculation mässigte, je mehr fester
Boden der Sonne entgegentrat, desto entschiedener bildeten sich die
klimatischen Gegensätze aus, die von der Stellung der Sonne zur
Erde abhängen. Allein zur Zeit als die arktischen Tertiärwäldei bc
standen, hatten die Polarländer schon wesentlich denselben Umriss
wie gegenwärtig, da die Ueberreste sich an so veischiedenen und
entlegenen Orten gefunden haben. Wie konnten diese Landschaften
so viel wärmer sein, wenn die Sonnenstrahlen als unveränderlich
warm gelten? musste nicht die Eigenwärme der Erde selbst noch so
viel höher gewesen sein? Heer hat dies geläugnet, vielleicht abei
die Widerlegung nicht gehörig begründet, wenn er sagt23), dass in
diesem Fall den früheren Perioden vor der Tertiärzeit eine so hohe
Temperatur zuzuschreiben sei, dass kein organisches Leben möglich
gewesen wäre: denn wir kennen weder die Länge der Zeiträume,
noch den Gang der Abnahme der Eigenwärme. Er sucht die Erscheinung
aus ungleichmässigen Temperaturen des Weltraums zu
erklären, ebenso gut hätte er eine Abnahme der erwärmenden Kraft
der Sonne annehmen können. Durch solche Vorstellungen abei ist
die im Verlauf der geologischen Perioden fortschreitende Steigerung
der klimatischen Unterschiede nach der Polhöhe nicht erkläit.
Saporta24) erblickt in der abnehmenden Schiefe der Ekliptik den
Grund von der Abkühlung der Polarländer. Wie, wenn die Sonne
am Aequator verharrte, der Gegensatz der Jahreszeiten aufgehoben
würde, so würden, wenn die Schiefe ihrer Bahn gesteigert gedacht
wird, die hohen Breiten hinreichende Sommerwärme, mit um ebenso
viel grösserer Winterkälte wechselnd, empfangen, um ähnliche Erscheinungen
hervorzurufen, wie wir sie jetzt in den Wäldern von
Jakutsk, auf dem Winterkältepol Sibiriens vor Augen haben. Allein
dies hiesse voraussetzen. dass die astronomische Theorie von dei
säkularen Aenderung der Schiefe der Ekliptik mit einem wesentlichen
Fehler behaftet wäre, da sie dieselbe als periodisch und in weit
engeren Grenzen eingeschlossen darstellt, als ein so bedeutender
Wechsel des arktischen Klimas fordert.
Der Nachweis, dass in der Tertiärzeit das arktische Gebiet von
Wäldern bedeckt war, ist für die Beurtheilung der heutigen Flora
von mehrfachem Interesse. Je grösser die Aenderungen des Klimas
sein mussten, die in den Polarländern stattgefunden haben, desto
unermesslicher erscheinen die Zeiträume, die seitdem verflossen sind.
Plaben sich demohngeachtet einzelne Bäume, wie die amerikanische
Ceder (Taxodium), auf der Erde erhalten, und kann dies aus fragmentarischen
Ueberresten wirklich nachgewiesen werden ? Ist es der
Fall, so verliessen sie, ohne ihre Organisation zu ändern, den räumlich
geänderten Lebensbedingungen ausweichend, ihren ursprünglichen
Wohnort und suchten, nach Süden wandernd, ein Klima auf,
das ihnen gemäss war. Dagegen zeigt sich keine Spur eines genetischen
Zusammenhangs zwischen jenen arktischen Waldbäumen und
denjenigen Pflanzen, die gegenwärtig die Polargegenden bewohnen,
wie die Anhänger des Darwinismus zu erwarten hätten. Die arktische
Flora ist ein Ausdruck des Klimas, wie es jetzt besteht, und
je weniger dasselbe geeignet ist, den Ansprüchen der organischen
Natur zu dienen, desto zweckmässiger waltend müssen wir uns die
Kräfte vorstellen, welche das Leben der organischen Erzeugnisse
einem solchen Klima anpassten. -
Yegetationsformen, Die geringe Grösse aller Erzeugnisse
der arktischen Flora, deren physiologische Bedeutung bereits erörtert
wurde, bietet zugleich einen Maassstab für die Untei Scheidung
der Pflanzenformen. Von der nach Bruchtheilen eines Zolles zu
messenden Kleinheit der Nadelrosette des Polytrichum-Mooses erheben
sie sich bis zu ansehnlichen Stauden und Gläsern, die an
Höhe des Wuchses in einzelnen Fällen die Zwerggesträuche übertreffen.
Indessen fehlen die grösseren Formen in den meisten Gegenden
ganz. Was von der durchschnittlichen Grösse der Iflanzen
auf Nowaja Semlja angeführt wurde, passt nicht minder auf das Festland
des arktischen Sibiriens und Nordamerikas, oder das Wachsthum
wird doch nur selten zu einer höheren Energie gesteigert. Im
Taimyrlande fand MiddendorffI2) die mittlere Wuchshöhe der Iflanzen
ungefähr 5 Zoll: etwa der dritte Theil dei Stauden schwankte
zwischen 6 und 14 Zoll, die höchsten Zwergsträucher erreichten nur
6 Zoll, selbst die Zwergbirke bleibt hier so klein. Denn auch die