Grenzwerths, der für verschiedene Bäume von ungleicher Dauer sein
kann, aber für alle Bäume einen verhältnissmässig grösseren Umfang
haben muss als für Sträucher und Stauden. Die Belaubung, die
Ablagerung von Nahrungsstoffen, die im Frühjahr benutzt werden,
die Bildung überwinternder Knospen, die Entwickelung vonBlüthen
und Früchten, alles dies sind Phasen des Pflanzenlebens, die den
mehrjährigen Gewächsen nördlicher Klimate gemeinsam angehören.
Aber die Bäume bedürfen ausserdem noch des fortschreitenden
Stammwachsthums, und da sie zugleich an Masse der zu bildenden
Gewebtheile die übrigen Gewächse übertreffen, so muss auch das
Zeitmaass ihrer jährlichen Vegetationsperiode, um alle diese organischen
Arbeiten zu vollenden, grösser sein. Die erste klimatische
Bedingung des Baumlebens ist demnach eine bestimmte Dauer der
Vegetationsperiode. Nehmen wir an, dass ein Baum, um nach dem
Winter seine Wachsthumsphasen zu beginnen, einer Temperatur
von 8° R. bedarf, und dass er im Herbste wieder aufhört thätig zu
sein, wenn die Wärme unter diesen Werth herabsinkt, so frägt sich,
wie viel Zeit zwischen diesen beiden Ordinaten der Temperaturkurve
mindestens eingeschlossen sein muss, damit jenen mannigfachen
Aufgaben genügt werde. Hierüber ist ein Aufschluss aus den klimatischen
Beobachtungen an der Baumgrenze zu erwarten. Aus den
Wärmemessungen zu Alten im skandinavischen Lappland (70° N.B.)
geht hervor ?), dass hier, wo für die vegetativen Processe nur ein
Spielraum von drei Monaten übrig bleibt, der durchschnittliche
Grenzwerth erreicht ist, den das Baumleben noch ertragen kann.
Hiemit steht in einem gewissen Einklang, dass in Mitteleuropa der
Zuwachs des Holzes zu Anfang Mai beginnt und mit dem August
endet, also etwa vier Monate in Anspruch nimmt. Dies sind, wie
gesagt, nurDurchschnittswerthe, die aber eben als solche das klimatische
Verhältniss des Waldgebiets zu den baumlosen Gegenden aus-
drücken. Abgesehen davon, dass die Insolation den vegetativen
Process früher hervorrufen kann, als das Thermometer erwarten
lässt, mag an der Polargrenze der Wälder die erhöhte Tageslänge
zur Verkürzung der Entwickelungsperiode beitragen. Auch ist die
Dauer derselben bei verschiedenen Bäumen ungleich und die Lage
der Baumgrenze daher auch von der Baumart abhängig, welche sie
bildet. Im Taimyrlande Sibiriens gehen die Bäume weiter nach
Norden als irgendwo sonst [720] 8), aber hier ist an der Baumgrenze
nur noch die Lärche übrig , deren Nadelschmuck daselbst nur zehn
Wochen dauert I , und die auch in den Alpen höher als andere
Coniferen ansteigt. Dieser Baum wird zwar nicht, wie es bei anderen
Nadelhölzern der Fall ist, zum Strauch, wenn sein klimatischer
Grenzwerth überschritten ist, aber er verjüngt sich zuweilen zu mannshoher
Zwerggestalt, und in diesem Falle kann, da nun nur wenig
Holz zu bilden ist, die Belaubungszeit noch mehr verkürzt werden IO).
Middendorff, dessen ausgezeichneten Forschungen in Sibirien wir
auch über das Klima an der Baumgrenze die wichtigsten Aufschlüsse
verdanken, hat die Einwürfe vollständig zusammengestellt, welche
man gegen die Benutzung der meteorologischen Beobachtungen zur
Ermittelung der physischen Bedingungen des Baumlebens aus diesen
und ähnlichen Verhältnissen ableiten kann, aber diese Einwürfe treffen
den Hauptsatz nicht11), dass der Umfang der zu leistenden organischen
Bildungen mit dem dazu erforderlichen Zeitmaass in Beziehung
steht, und dass dieses bei den hochstämmigen Holzgewächsen
nicht erheblich unter drei Monate sinken darf.
Eine zweite klimatische Bedingung des Baumlebens besteht
darin, dass dasselbe einer höheren Sommerwärme bedarf als die
arktische und alpine Flora. Es ist ein Erfahrungssatz, dass die
Bäume des Nordens sich im Frühlinge erst belauben, wenn die
Wärme sich zu einer Höhe erhebt, die in den arktischen Tundren
nicht erreicht wird. Auf dem Bernhardhospiz (7670 Fuss) steigt die
Mittelwärme nicht eines Monats bis zu 6° R., und hier ist daher kein
Baumleben mehr möglich. Aber es ist einleuchtend, dass zwischen
diesen hochalpinen Höhen und der Baumgrenze selbst eine Region
liegt, wo die Belaubung noch stattfinden, aber das Holz der Bäume
sich nicht mehr ausbilden könnte. So wirken Maass und Dauer der
Sommerwärme zusammen, um dem Baumleben eine unveränderliche
Polar- und Höhengrenze zu setzen.
Von diesen äussersten Waldstrecken bis zu den südwestlichen
Küstenlandschaften am biscayischen Meerbusen ist dem allmäligen
Wechsel der Temperatur der weiteste Spielraum gegeben, und doch
begleitet uns die Kiefer (Pinus sylvestris) von den Pyrenäen bis zum
Amur. In weit höherem Grade als die Wärme ändert sich innerhalb
dieses Gebiets unter dem Einfluss des See- und Kontinentalklimas
die Dauer der Vegetationszeit. Rechnen wir hiezu als Durchschnittswerth
denjenigen Abschnitt der Jahreskurve, während dessen
die Temperatur sich über 8° R. erhält, so beschränkt sie sich in dem
kontinentalsten aller Kimate, zu Jakutsk an der Lena, wie an der