Frage, auf welche dieser beiden Bedingungen die Vegetationslinien
von gleicher Lage zu beziehen sind.
Nur von einigen Sträuchern lässt sich sicher nachweisen, dass
sie, von den Küstenlandschaften in das Binnenland verpflanzt, durch
den Frost des Winters zu Grunde gehen. Dahin gehören der britische
Ginster (Ulex) und der Hülsenstrauch [Ilex). Die Beobachtungen
beziehen sich auf das nordwestliche Deutschland, und hiebei
ist zu beachten, dass hier wegen der Erhebung des Binnenlandes
der Abstand vom Meere einen stärkeren Einfluss auf die Temperakurve
ausübt als die Polhöhe, und dass daher die Linien gleicher
Winterkälte ebenfalls, wie die der Sommerwärme, der Küste parallel
verlaufen46). Der britische Ginster wurde am Ende des vorigen Jahrhunderts
in Hannover zur Anpflanzung von Hecken empfohlen und
hat sich im Innern des Landes, z. B. in der Nähe von Göttingen,
nicht erhalten, weil die Stämme in kalten Wintern abstarben, während
dieser Strauch in einigen der Nordseeküste näher gelegenen
Gegenden, z. B. bei Osnabrück, einheimisch ist. Ueber den Hülsenstrauch
ist die Beobachtung entscheidend, dass dieses in den
Buchenwäldern der Küstenlandschaften Norddeutschlands weitverbreitete
Gewächs mit zunehmendem Abstande vom Meere kleiner
wird, weil an seiner südöstlichen Vegetationslinie, z. B. bei Hannover
, die Stämme von Zeit zu Zeit bis auf die unterirdischen Organe
erfrieren. In beiden Fällen beträgt der Küstenabstand, den diese
Sträucher ertragen, nur 20 g. Meilen.
Da sich die Beobachtungen über die Abhängigkeit der Vegetationslinien
von der Winterkälte nicht leicht vervielfältigen lassen, so
muss eine andere Methode benutzt werden, um eine natürliche Gliederung
der westeuropäischen Flora zu begründen. Je mehr Vegetationslinien
in gleicher oder analoger Lage Zusammentreffen, desto
eigenthümlicher wird der Charakter der Flora, welche sie begrenzen,
und desto mehr eignen sie sich daher zu botanischen Vergleichungen
verschiedener Länder. Bei dieser Untersuchung ergiebt sich,
dass in Westeuropa die Linien, welche einem bestimmten Abstande
von der Küste der Nordsee und des atlantischen Meers entsprechen,
von weit grösserer Bedeutung sind als alle übrigen«). Da im Allgemeinen
die Küstenlinie von der Bretagne bis zur Ostsee von Südwest
nach Nordost verläuft, so sind diese Vegetationslinien südöstliche
oder nordwestliche, je nachdem die Pflanzen entweder vom Binnenlande
aus das Meer nicht erreichen oder in umgekehrtem Sinne
begrenzt sind. Aus diesem Verhältniss habe ich früher«) geschlossen,
dass die Extreme der Temperatur für die Verbreitung der Pflanzen
hier die wichtigsten, klimatischen Werthe seien. Aber dieser
Schluss ist nicht durchaus beweiskräftig, und man stösst bei der Anwendung
desselben im Einzelnen auf manche Schwierigkeiten. Von
den westlichen Küstenpflanzen kehren manche tiefer im Binnenlande
unter einer südlicheren Breite wieder, bei anderen ist dieses nicht
der Fall. Hier sind also, wie weiter zu erörtern sein wird, verschiedene
klimatische Momente zu unterscheiden. Sodann sind die Gewächse
des Binnenlandes überhaupt mannigfaltiger als die der Küstengegenden
unter entsprechender Breite. Im nordwestlichen Deutschland
wird die Flora auf gleichem Boden, z. B. auf demselben Muschelkalk,
man kann fast sagen, von Meile zu Meile ärmer, je mehr
man sich von Thüringen aus der Küste in den Weserfendschaften
nähert. Im Binnenlande kann der Austausch zwischen den einzelnen
Vegetationscentren in jeder Richtung stattfinden, während die Küste
die Gewächse ihres Hinterlandes nur von einer Seite her empfängt.
Es ist also die Frage, ob die der Küste parallelen Pflanzengrenzen
wirklich in allen Fällen klimatische Vegetationslinien sind oder nur
eine Folge der beschränkteren Bahnen für die Einwanderung. Sicherer
ist es schon, dass die Küstenpflanzen aus klimatischen Ursachen
dem Binnenlande fern bleiben, aber hier könnte ausser der Temperaturkurve
auch die grössere Feuchtigkeit der Luft zu Grunde liegen.
Alle diese Fragen sind nicht bloss durch die Lage der Vegetationslinien,
sondern zugleich durch Untersuchungen über die Lebensbedingungen
der einzelnen Arten zu erledigen, und da solche Arbeiten
noch kaum unternommen sind, muss die Entscheidung im
Einzelnen oftmals künftigen Forschungen anheimgestellt bleiben.
Die Vergleichung der Flora des westeuropäischen Tieflandes
führt zur Unterscheidung von drei Hauptgliederungen, die durch die
Lage gehäufter Vegetationslinien bestimmt sind. Da diese Linien
der Küste parallel verlaufen, treffen sie fast rechtwinkelig auf die
Buchengrenze. Die westliche Zone umfasst, vom biscayischen Meerbusen
ausgehend , den grössten Theil Frankreichs, England nebst
Irland, die Küstenlandschaften Deutschlands bis zum Rhein und zur
Oder, Dänemark, und von Skandinavien den äussersten Rand, wo
die Buche noch gedeiht. Sodann folgt das mittlere Gebiet, welches
vom Dauphiné aus die Schweiz, den grössten Theil Deutschlands
nebst Polen und Galizien begreift und nach Südosten bis an das