4 Grade höher liegt als die Temperatur, bei welcher die Eiche in
Europa sich belaubt. Nichtsdestoweniger entfärbte sie ihre Blätter
zu Ende Oktober, die Buche im November, die erstere war im
Februar, die letztere erst im April wieder belaubt. Der Winterschlaf
der Buche hatte bei europäischer Sommerwärme 149 Tage
gedauert. Innerhalb des Mittelmeergebiets scheinen die Belaubungszeiten
desselben Baums auch bei grossen klimatischen Unterschieden
nur geringem Wechsel zu unterliegen. So begann in Hyères nach
Vaupell die Entwickelungsperiode der Ulme und des Feigenbaums
zu Anfang April68), in dem benachbarten Nizza fing der Feigenbaum
schon mehrere Wochen früher an auszuschlagen. Am Bosporus, wo
der Winter so viel kälter ist und so viel länger dauert, ändert sich
diese Periode kaum oder nur unerheblich: hier belaubt sich nach
Tchihatcheff der Feigenbaum ebenfalls im März und-dieUlme zu Ende
April; im J. 1839 sah ich die Entwickelung beider Gewächse zu dieser
Zeit gleichzeitig vor sich gehen. Die Unterschiede, welche an demselben
Orte je nach den Individuen sich ergeben, scheinen ebenso
gross zu sein als diejenigen, welche vom Klima abhängig sind.
Vaupell’s Beobachtungen in Nizza geben noch über andere Verhältnisse
Aufschluss, wiewohl man seinen Erklärungsversuchen nicht
überall beistimmen kann. Kein Baum belaubt sich vor dem Januar,
und doch ist die Wärme dieses Monats geringer als die des December
(6° im Jan., 7°,2 R. im Dec.). Es scheint also, dass die sinkende
Temperatur die Energie des Lebens abstumpft, die steigende sie befördert.
Der kälteste Monat des Jahrs ist es, in welchem die Oel-
bäume, die Orangen und die Karuben (Ceratonid] ihre Triebe mit
jungen Blättern ausstatten, und, wenn das Thermometer zu dieser
Zeit einmal unter den Gefrierpunkt fällt, sieht man das in der Bildung
begriffene Laub welk werden, und leicht geht es dann wieder
zu Grunde. Es ist also einer Gefahr ausgesetzt, die in keinem andern
Monat eintreten würde. Vaupell meint, man müsse gerade das
Gegentheil von dem erwarten, was die Reihenfolge der Belaubungszeiten
zeige, die nordischen Bäump, einem kälterenKlima angepasst,
müssten sich früher entwickeln als die südlichen, die mehr Wärme
bedürften. Allein hier ist er im Irrthum, weil er nur die Temperatur
und nicht die verschiedene Dauer der Vegetationsperiode berücksichtigt,
und weil, wie wir gesehen haben, die Wärme derselben
im Süden gar nicht erheblich höher ist als im Norden. Damit der
Oelbaum im Mai blühen und im Herbst seine Früchte reifen oder
die Orange das ganze Jahr hindurch diese Bildungen wiederholen
könne, müssen die Organe, welche den Nahrungsstoff bereiten , so
früh als möglich vorhanden sein, so dass sie selbst in der ungünstigsten
Zeit sich erneuern. Die nordischen Bäume hingegen bedürfen
bei ihrer Belaubung einer höheren Wärme als diese, da, wenn die
Blätter früher entständen, sie in den grossen Temperaturschwankungen
des nördlichen Frühjahrs zerstört werden würden. Daher
bestehen unter diesen grosse Verschiedenheiten je nach der Empfindlichkeit
der noch im Wachsthum begriffenen Blätter gegen den Frost.
In Nordeuropa belaubt sich zuerst der Pliederbaum (.Sambucus nigra).
etwa bei 40 R ., dann die Buche bei 8°, zuletzt die Eiche bei io°.
So ist das Eichenlaub am meisten durch die Maifröste gefährdet, wie
das desOelbaums durch die Januartemperatur des Südens, derFlieder
erträgt grosse Schwankungen ohne Beschädigung. Wie aber die
hiedurch gegebene Reihenfolge der Belaubung bei den verschiedenen
Bäumen in einem südlichen Klima geändert wird, zeigte sich schon
in der Beobachtung, dass in Madeira die Eiche beinahe zwei Monate
vor der Buche ausschlägt. Solche Verschiedenheiten wiederholen
sich vielfach, sowohl im westlichen, wie im südlichen Europa. So
ist nach Vaupell’s Untersuchung, wobei natürlich die Unterschiede,
die in einzelnen Jahren nach dem Temperaturgange Vorkommen
können, nicht berücksichtigt werden dürfen, die Reihenfolge der
Belaubung von Buchen, Eichen und Eschen an verschiedenen Orten
folgende:
Buche, Eiche, Esche: von der Ostsee bis München;
Esche, Buche, Eiche: in Belgien;
Eiche, Esche, Buche : in Dijon.
In Nizza belaubte sich der Flieder gleichzeitig mit dem Oelbaum im
Januar, die drei anderen Bäume gleichzeitig zu Anfang April. Die
Erklärung dieser Erscheinungen hat Vaupell durch eine sinnreiche
Hypothese zu geben versucht, sie ist nicht so einfach, da, wenn auch
die zur Belaubung jedes Baums erforderliche Wärme an veischie-
denen Orten zu ungleichen Zeiten eintritt, doch die Temperatui-
kurve überall in gleichem Sinne vom Anfang des Jahrs an aufsteigt.
Wenn man mit A. de Candolle und Quetelet die Summen der
Temperaturgrade (über einem Minimum zu Anfang der Entwickelungsperiode)
oder deren Quadrate als Maassstab der die Vegetationsphasen
bestimmenden Werthe ansieht, bleiben solche Erscheinungen
jeder mechanischen Erklärung unzugänglich. Vaupell, der diesen