XYI.
WESTINDIEN.
Klima. Der westindische Archipel eignet sich besonders , die
Anordnung der Gewächse auf oceanischen Inseln zu untersuchen,
weil er nächst dem indischen einer der grössten ist, und, wenn man
Trinidad ausschliesst, der Austausch mit den Floren des Kontinents
sich weniger als dort vollzogen hat. Durchaus unter der Herrschaft
des Passatwindes stehend, ist das Klima doch durch die geographische
Lage und das Relief des Bodens mannigfach beeinflusst1).
Der Verschiedenheit dieser Einwirkungen gemäss sind Dauer und
Intensität der Regenzeiten in hohem Maasse ungleich, wodurch vier
klimatische Gruppen von Inseln sich von einander absondern2) , die
grossen Antillen, die westliche und die östliche Reihe der Karaiben,
endlich die Bahamas. Nach dem zweimaligen Zenithstande der
Sonne, dem die Niederschläge nachfolgen, unterscheidet man3) von
der grossen Regenzeit, die gewöhnlich vom August bis Ende November
anhält, noch eine kürzere im Frühjahr, und am Wendekreise
fallen beide im Sommer zusammen.
Auf den grossen Antillen verkürzen sich zwar in Folge der
höheren Breite die Solstitialregen, aber unabhängig vom Stande der
Sonne entladet der Passatwind, wo er senkrecht die Gebirge trifft
und an ihnen nach aufwärts weht, auch in den übrigen Jahrszeiten,
reichliche Niederschläge, welche den trockeneren Südabhängen entzogen
sind. In Jamaika4) hat die Nordseite der Insel ein frischeres
Waldgrün, weil auch im Winter (bis Ende Februar) die Niederschläge
aus dem Passat fortdauern: an den blauen Bergen hören sie
niemals auf und auch in Havanna5) ist kein Monat regenfrei. An
Regenzeiten. — Temperatur. 321
der Südseite der jamaikanischen Gebirgskette herrscht ein Savanen-
klima, indem nur im Herbst der Regen bedeutend und im Frühling
von kurzer Dauer ist. Hier kann die Intensität der jährlichen
Niederschläge, die im Elevationsregen Westindiens nicht selten über
ioo Zoll beträgt, auf weniger als ein Drittel [34 Zoll]5) der an anderen
Orten gemessenen Werthe herabsinken. Von diesen Verhältnissen
ist die Vertheilung des Tropenwaldes und der mit Baumgruppen
und Gehölzen besetzten Savanen abhängig.
Die westlichen Karaiben haben lange, die östlichen kurze und
unbedeutende Regenzeiten. Auf den erstem werden die Niederschläge
durch dicht bewaldete Vulkankegel verstärkt, an denen die
Seewinde sich entladen, auf den letztem, die klein und gebirgslos
sind, lässt der Passat sie nicht zu energischer Ausbildung kommen.
Guadeloupe verbindet die Klimate beider Inselreihen, indem die fast
völlig abgesonderte Osthälfte (Grande Terre) an der vulkanischen
Hebung keinen Theil hat. Diese Insel, wo die Regenmenge an verschiedenen
Beobachtungsstationen sich um mehr als das Doppelte
verschieden zeigte5) , zeichnet sich deshalb durch eine grössere
Mannigfaltigkeit der Vegetation aus als irgend eine andere von ent-’
sprechendem Umfange6).
Die Bahamas sind durchaus flache Inseln, die zum Theil über
den Wendekreis hinaus in der Breite von Florida liegen. Mit der
gegenüberliegenden Küste stimmen sie darin überein, dass die Niederschläge
im Sommer sich verstärken5), aber ungeachtet der Aehn-
lichkeit des Klimas und der Nähe des Kontinents nehmen sie an
dessen Flora keinen Antheil.
Westindien besitzt daher, wenn es gleich nur auf einigen Gebirgen
die volle Waldenergie äquatorialer Regenzeiten entfaltet, doch
eine Fülle klimatischer Gliederungen auf engem Raume vereinigt.
Auch ist wegen der höheren Breite ausserhalb des Wendekreises die
Temperatur der Bahamas nicht so gleichmässig wie auf den karai-
bischen Inseln: beide Archipele erstrecken sich über 15 Parallelkreise
(2 70—i2 °N .B .) . Auf den Antillen sind die Temperaturunterschiede
der Jahrszeiten für die Vegetation noch ohne Bedeutung 7):
selbst am Wendekreise zu Havanna ist der Sommer noch nicht
4 Grade wärmer als der Winter. Aber in Nassau, auf der Bahama-
Insel New Providence (250 N. B.), steigt der Unterschied beider
Jahrszeiten bereits beinahe auf 7 Grade und ist sogar grösser als auf
Key West am Südende Floridas. Die Jahreswärme der Küstenregion
G r i s e b a c h , Vegetation der Erde. II. 2 Aufl.