
des Gehirns wirkt und thätig ist; es ist aber nicht damit behauptet,
dass ihr, Wesen bloss seinen Sitz im Gehirne hat. Es
könnte wohl seyn, dass die Seele nur in einem Organe von
einer bestimmten Structur wirken und Wirkungen empfangen
könnte, und doch vielleicht allgemeiner im Organismus verbreitet
wäre.
Wir wollen hier einige Thatsachen hervorheben, welche
entschieden beweisen, dass- die Seele, wenn sie auch nur in
dem Gehirne wirksam ist, doch nicht ganz auf dasselbe beschränkt
ist. Es genügen diess zu beweisen zwei Thatsachen.
Die eine ist, dass die niederen Thiere, wie Planarien, Polypen,
Würmer, theilbar sind, und dass Polypen und Würmer, wie
die Naiden, Nereiden (siehe oben p. 19.), selbst durch Theilung
ihres Körpers zeugen. Diese Thatsache zeigt uns, dass'das Le-
bensprincip mit der Materie theilbar ist, indem aus getrennten
Stücken neue Individuen entstehen. Man kann diese Thiere
zwar beseelt in dem Sinne, wie die höheren Thiere, nicht nennen;
indessen hat jedes der getrennten Theile seinen besonderen
Willen und seine besonderen Begehrungen, und da zum Empfinden
auch Bewusstseyn und Aufmerksamkeit gehört, so haben wir
den Beweis, dass das psychische Princip dieser niederen Wesen,
mag es mit dem Lebensprincip eins' oder nicht eins seyn, wie dieses
mit der Materie theilbar ist. Die zweite Thatsache ist, dass das
psychische Princip wie das Lebensprincip auch hei den höheren
und höchsten Thieren, ja seihst heim Menschen, in einem beschränkten
Sinne theilbar ist. Die höheren Thiere und die Menschen
erzeugen zwar keine neuen beseelten Individuen durch Theilung
ihrer selbst in mehrere Stücke; wohl aber durch Erzeugung des
Saamens bei dem Manne, und des Keimes bei dem Weibe. Wie
die Zeugung des neuen Individuums bei der Berührung des weiblichen
Keimes und des männlichen Samens stattfinden mag!, wir
wissen, dass'bei den Fischen, Fröschen, Salamandern die blosse,
selbst künstlich ausgeführte Berührung von Samen Und Ei, ohne
allen Antheil von Seiten des Männchens und Weibchens zur Erzeugung
des neuen Individuums hinreicht, wie denn nach Spallan-
zaki Eier des Frosches mit Froschsamen befeuchtet, befruchtet sind.
Es geht daraus hervor, dass der Keim des Weibchens und der
Saame des Männchens Alles enthalten, was zur Aeusserung des
individuellen Lebensprincipes und der psychischen Functionen
der Thiere nöthig ist. Der Keim und der Samen, oder einer
von beiden muss also das Lebensprincip und das psychische Prin-
cip gleichsam latent enthalten;: denn sonst könnte es sich nicht
bei der Entstehung des neuen Individuums äussern. Eben so
müssen wir auch bei den höchsten Thieren und- dem Menschen
nothwendig annehmen, dass, wie der Same und das Ei alle Bedingungen
zu einem neuen belebten und beseelten Wesen enthalten,
sie auch selbst entweder beide, oder eines von beiden das Lebensprincip
und das psychische Princip im latenten Zustande enthalten.
Ob das neue Individuum ausser (wie bei den Eierlegern)
oder in dem mütterlichen Körper (wie bei den Lebendiggebärenden)
sich entwickelt, macht in dieser Frage gar nichts aus.
Wir sehen aus dieser Folge von Thatsachen und Vernunftschlüssen,
dass, obgleich die höheren Thiere und der Mensch nicht
mehr durch Zertheilung in mehrere Stücke, neue belebte und
beseelte Individuen zeugen, sie doch insofern.noch in Hinsicht
des Lebensprincipes und psychischen Principes theilbar‘sind, als
ein Theil ihrer Materie, die Zeugungsflüssigkeiten, mit diesen
Principien, mögen sie eins oder getrennt seyn, beseelt ist.
Wenn diess aber so ist,; so ist das psychische Princip offenbar
nicht auf das Gehirn beschränkt, sondern auch, wenngleich im
latenten Zustande, in Theilen, die vorn Gehirne weit entfernt
von dem Ganzen abtrennbar sind, enthalten; und diess ist es,
was wir beweisen wollten.
Ob das Lebensprincip und da? psychische Princip von dem
Gehirne aus in einem latenten Zustande auf den Wegen der Nerven
zum Samen oder Keime gelange, ob es im latenten Zustande
im Blute verbreitet werde, ob es inr latenten Zustande im ganzen
Körper verbreitet sey, während es nur frei im Gehirne als dem
zu -seiner Wirksamkeit organisirten Apparate wirkt und Wirkungen
anderer Theile'empfängt, alles diess ist nicht zu beantwortet,:
auch wäre die Beantwortung für die gegenwärtige Untersuchung
gleichgültig; es ist genug, dass wir wissen, dass der Same
und Keim nicht allein die Kraft zu einem belebten Individuum
enthalten, sondern auch das psychische Princip des neuen Wesens
im latenten Zustande enthalten müssen. Es ist für unsern Zweck
jetzt genug, zu wissen, dass andere Theile'des Körpers, als das
Gehirn, auch noch an dem psychischen Principe Theil haben,
dass aber diess Princip nur in dem Gehirne frei und thätig erscheint,
weil hier die Organisation zu allen seinen Bewegungen
und Wirkungen auf die Kräfte anderer Theile, auf die motorischen
Apparate, und zur Aufnahme der Wirkungen der sen-
sibeln Leiter ist. Nur in dem Gehirne ist Bewusstseyn, Vorstellung,
Gedanke, Wille, Leidenschaft möglich, und wenngleich das
Princip zur Erzeugung der Vorstellungen, Gedanken u. s. w. in
dem befruchteten Keime latent vorhanden ist, so muss dieser beseelte
Keim doch erst die ganze Organisation des Gehirns erschaffen,
dass das psychische Princip frei werde, und dass Vorstellungen,
Gedanken, Wille u. s. w. erscheinen oder wirken. In
der hirnlosen Missgeburt, die während des Lebens im Uterus
bis zur Geburt noch ernährt wird und lebt, wurde das zur spätem
Aeusserung der Seele von dem belebten Keime erzeugte
Organ schon zu einer Zeit (durch Wassersucht) - zerstört, ehe es
zum Freiwerden des psychischen Principes, zur Aeusserung der
Seelenfälligkeiten, ausgebildet war.
Ob das psychische Princip durch eine Verletzung des Gehirnbaues
selbst wesentlich modificirt werde, ob in den Geisteskrankheiten
die Tfiätigkeit der Seele durch die Verletzung des Gehirns bloss
verändert werde, oder ob die Seele an sich krank seyn könne, kann
nach den vorausgeschickten Betrachtungen und Thatsachen jetzt erörtert
werden. Da, wie wir hier gesehen haben, die Existenz der
Seele von dem unverletzten Baue des Gehirns nicht abhängt, da
sich ihr Daseyn, wenn auch latent, auch in dem von dem Mut