Aus -allen diesen Versuchen geht hervor, dass die schnelle
allgemeine Wirkung der örtlichen Vergiftung nicht durch die
Nerven, sondern durch das Blut geschieht, und vom Blute wieder
auf alle Theile wirkt. Allein es lässt sich auch beweisen, dass
die allgemeine Wirkung der Gifte erst wieder vorzugsweise durch
die Centralorgane des Nervensystems bedingt ist, welche das
vergiftete Blut narkotisirt. Denn
1. nach einem durch Vergiftung herbeigeführten Tod äus-
sern die Nerven und'Muskeln noch eine geraume Zeit hindurch
Reizbarkeit-.
2. Wird einem Thiere, nachdem man die nach einer Extremität
führende Arterie unterbunden hat, ein Gift beigebracht, welches
Zuckungen erregt, so bemerkt man, dass diese Operation
■jenen Theil vor Theilnahme an der allgemeinen Wirkung des
Giftes nicht sichert. Lund Viois. p. 109. Dass das Herz nicht
durch Lähmung desselben, die W ilson bei Behandlung mit Tabacks-
infusion und Tinct. Opii bei Fröschen sah, die Ursache der allgemeinen
Wirkung des Giftes ist, beweist, wie Lund bemerkt,
der Umstand, dass Frösche die Ausschneidung des Herzens
viele Stünden überleben. Auch die Lungen sind nicht die
Ursache, denn künstliche Respiration vermag die «Thiere nicht
zu retten. Man muss daher annehmen, dass das Gehirn und Rük-
kenmark auf dem Wege der Circulation durch das Schlangengift und
alle-starke Narcotica zuerst und also die Hauptquellen desNerven-
lebens angegriffen werden. Durchschneidet man bei einem Thiere,
das durch Opium, Strychnin, Upas, Angustura vergiftet ist, die
Nerven einer Extremität, so hören die Zuckungen derselben auf;
eben so nach Vernichtung eines Theils vom Rückenmark die
Zuckungen derjenigen Theile, deren Nerven von der vernichteten
Stelle abgehen. Das Opium und das Schlangengift scheinen Gehirn
und Rückenmark in gleichem. Grade zu affieiren; Strychnin
und die verwandten Gifte, Angustura, wirken in noch höherem
Grade auf das Rückenmark; denn Starrkrampf und Lähmung
sind die Hanptsymptome, und diese dauern noch fort nach der
Durchschneidung des Rückenmarks, in den unter dem Schnitte
gelegenen Theilen , wie Bäcker gezeigt hat, 'während doch die
Krämpfe sonst durch Zerschneidung derNerven äufhören. Auch
bleiben die Zuckungen im ganzen Körper bei der Vergiftung mit
Angustura, wenn das Gehirn abgeschnitten wird; am Kopfe äus-
sern sich die Zuckungen in den Ohren. Ich habe einen Versuch
bei Fröschen angestellt, der wiederholt dieselben Resultate
giebt und sehr instructiv ist. An einem Beine durchschnitt ich
alle Gefässe und Muskeln des Oberschenkels,, präparirte .sie am
Oberschenkel ab, liess aber den Nerven unversehrt. .Nun vergiftete
ich den Frosch mit Nux vomica. In d^m gesunden Bein
war die Reizbarkeit viel schneller erloschen, bald trat die gewöhnliche
Folge der narkotischen Vergiftung bei Fröschen ein,
dass, wenn man sie auch nur leise berührt, doch der ganze Frosch
zuckt. Nachdem alle diese Zuckungen am ganzen Frosch aufgehört,
zuckten immer noch die Wadenmuskeln des präparir-
sten Beins, sobald ich den Frosch an irgend einer Stelle des Körpers
berührte; dasjenige Bein, welches kein Blut mehr erhielt,
behielt also seine Reizbarkeit für die vom Rückenmark ausgehenden
Reize viel länger als das andere Bein, dessen Nerven und
Muskeln durch das Blut dem Gifte selbst ausgesetzt wurden.
Man geht also zu weit, wenn man behauptet, die Gifte wirken
nur auf die Centraltheile; sie wirken auch durch den Kreislauf auf
die Nerven selbst. Die Vergiftungszufälle vom Rückenmark aus
sind erst Zuckungen, dann Lähmung; die Vergiftungszufälle der
Nerven selbst sind keine Zuckungen, sondern Vernichtung der
Reizbarkeit. Ein Bein vom Frosche, das vor der Vergiftung so
präparirt worden, erhält auch seine Reizbarkeit länger als das
andere, dem das,Gift durch den Kreislauf zugeführt werden kann.
Vergl. Lund Viois, 112. Bäcker commentatio ad c/uaest. physiol.
Traject. ad Rhen. 1830. Vergl. Stannius in Muei.l. streb. 1837. 223.
2. Oertliche Wirkung der narkotischen Gifte auf die JServen.
So gewiss es ist, dass die allgemeinen Wirkungen der örtlichen
Vergiftung durch das Blut bedingt sind, so wenig lässt sich
die örtliche Vergiftung der Nerven selbst läugnen, und diess ist
gerade der Punkt, über den fast alle neuere Experimentatoren
hinweggegangen sind.
Al. v. Humboldt, W ilson, Brodie ;haben gezeigt, dass Upi-
umtinctur und Tabacksinfusum die Kraft des Herzens lähmen.
Humboldt sah die Herzschläge zuerst sehr schnell werden und
dann ganz äufhören, wobei die Vermehrung der Schläge -vielleicht
auf Rechnung der Tinctur kömmt.
Die offenbarste örtliche Nervenlähmung durch ein narkotisches
Gift ist.die Erweiterung der Pupille.und Lähmung der Iris
durch Application eines Tropfeiis einer Auflösung des Belladonna-
extractes. Hier dringt das narkotische Gift durch Tränkung
bis zu den Ciliarnerven, die sich in der Iris verbreiten und zur
Iris selbst. Dass die Wirkung rein örtlich ist, dass die Aufnahme
ins Blut auch nicht den geringsten Antheil hat,, sieht man daran,
dass die Iris des gesunden Auges nicht zugleich erweitert wird.
Bekannt sind aber auch die örtlichen narkotischen Wirkungen des
Opiums, des Morphiums bei Einreibungen, wo man starke Local-
Wirkung ohne auffallend allgemeine Wirkung erzeugen will. Eben
so die örtlichen Lähmutigen von Bleivergiftung an den Händen.
Um diese örtliche Wirkung ausser Zweifel zu setzen, präpa—
rirte ich bei einem Frosche den Schenkelnerven weit heraus,
und legte: ihn in eine Auflösung von essigsaurem Morphium, nach
einiger Zeit hat das Ende des Nerven ganz seine Irritationsfähigkeit
verloren-. Dasselbe erfolgte, wenn ich Muskeln in Opiumauflösung
tauchte, wie auch A. v. H umboldt bereits gezeigt hatte.
Bei Kröten, an denen die Nerven so präparirt waren, dass die
s Unterschenkel nur durch den Schenkelnerven mit dem Rumpfe
zusammenhingen, tauchte ich diesen' Unterschenkel mit dem
Schenkelnerven in eine starke wässrige Auflösung von Opium;
nach kurzer Zeit .war alle Irritationsfähigkeit an Nerven und
Muskeln für den galvanischen und mechanischen Reiz verloren.
Aus allen diesen Beobachtungen ist die örtliche Wirkung
der narkotischen Gifte auf die Nerven unzweifelhaft. Wir müs-
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