
werden. Reizt man einen Zweig eines Nervenstammes, so ist die
Empfindung des Reizes auf den Theil beschränkt, zu welchem
dieser Zweig hingeht. Reizt man den Stamm aller Zweige, so
ist die Empfindung auf alle Theile ausgedehnt, zu welchen Zweige
dieses Stammes hingehen. Diese Versuche kann man begreiflich
nur an sich selbst anstellen, sie liefern aber eben so sichere Resultate,
wie die Versuche über Bewegung hei Thieren. Wenn
man den N. cubitalis absichtlich über der innern Seite des Ellbogens
oder über dem Condylus internus zerrt oder quetscht,
indem man mif den Fingern den N. cubitalis hin und her schiebt
und drückt, so hat man die Empfindung von' Prickeln und Nadelstichen,
oder von einem Stoss in allen Theilen, in welchen
sich der N. cubitalis endlich verzweigt, namentlich in der Fläche
und auf dem Rücken der Hand, in dem 4. und 5. Finger. Drückt
man stärker, so hat man auch Empfindungen im Vorderarme.
Durch starkes Auf- und Abwärtsstreichen mit dem Daumen an
der innern Fläche des Oberarms und durch Druck in die Tiefe
am obersten innern Theile des Arms trifft man leicht den Nervus
radialis, medianus, und man hat ähnliche Empfindungen in
den Theilen, wo sie sich verbreiten. Drückt man einen
grossen Nervenstamm für ein ganzes Glied,, z. B. den Nervus
ischiadicus, so hat man die bekannte Empfindung von Prickeln,
Nadelstichen und Einschlafen im ganzen Beine, und leicht kann
man es durch eine besondere Lage des Oberschenkels beim Sitzen
so einrichten , dass der S. ischiadicus bei f seinem Austritt
schon gedrückt wird. Auf diese Art kann man nach und nach
die Stellen finden, wo man durch mechanische,; ganz unschädliche
Reize an vielen auch kleinen Nerven ähnliche Versuche
an seinem eigenen Körper anstellen kann,!» wie sonst über
Bewegungen an Thieren angestellt werden. Mari wird sich dabei
immer überzeugen, dass bei Reizung eines Stammes jedesmal
die Empfindung in den äusseren Theilen aller seiner Aeste stattfindet,
gerade so wie bei Reizung eines Muskelnervenstammes die
Bewegungen in den'.Muskeln aller seiner .Aeste ■ stattfinden. 1 .Es
ist also hier gerade so wie- bei der motorischen Kraft, nur dass
diese noch auf die Muskeln durch Reizung des Nerven wirken
kann, wenn der Nerve schon nicht mehr mit dem Gehirn zusammenhängt,
die Empfindung aber nur stattfindet, wenn die
Reizun<* der Nerven noch zu dem Gehirn gelangt.
ƒƒ” Die Reizung eines Ner.venzweig^s is t, mit Empfindung begleitet,
die auf die Verbreitung dieses Zweiges beschränkt ist, und
(wenigstens in der Regel) nicht mit Empfindung in den .Heruenzweigen
die höher vom Nervenslamme oder von demselben Plexus abgehen.
Die Thatsachen, welche hierher gehören, sind zu bekannt,
als dass ich sie einzeln aufführen müsste. Die Reizung der Haut
wird in der Regel nur da empfunden, wo sie stattfindet. Niemals
wirkt diese Reizung auf den Plexus brachialis; und die -übrigen
Nerven desselben zurück. Dass ein Empfinduugsnerve, der
mit einem andern empfindlichen Cerebrospinalnerven anastomo-
sirt, nicht die Empfindungen auf den Stamm des zweiten Nerven
überträgt, dass die Anastomose vielmehr nur ein Apparat- zur
weitern peripherischen Vertheilung der Primitivfasern ist, geht
aus den p. 669. angeführten Versuchen von G aedechens am N.
facialis und infraorbitalis hervor; denn bei den Anastomosen zwischen
Aesten beider Nerven geht nichts vom N. infraorbitalis auf
den Stamm des N. facialis, oder von N. facialis auf den N. infraorbitalis
zurück, Sondern von beiden Nerven gehen die Fasern aus der
scheinbaren Anastomöse nur peripherisch weiter. Als G aedechens einen
Zweig des N. facialis zum N. infraorbitalis durchschnitt und das dahingehende
Stück des N. facialis reizte, entständen keine Empfindungen,
es ging also vom N; faciafis von dort aus nichts durch den N. infraorbitalis
zum Gehirn zurück. jEben so wenig wird man an einem
vom Stamme des N. infraorbitalis abgetrennten, noch mit dem N. facialis
zusammenhängenden Stück dés N. infraorbitalis Schmerzen erregen
können. Es ist also gerade so wie mit der motorischen Kraft,
welche naeh Reizung eines Nervenzweigs niemals Zuckungen durch
Nervenzweige, die höher aus dem Stamme entspringen, zurückwirkend
erzeugt. Unter gewissen Bedingungen körinen indess
auch von einem einzelnen Nerven aus sehr ausgebreitete Empfin-
dungsérscheinurigen entstehen. Diese Phänomene sind indess nur
durch Mitwirkung1 der Centralorgane, des Gehirns und Rückenmarks
und nicht durch Wechselwirkung der Nerven selbst zu
erklären, wie später gezeigt werden wird.
III. Erhält ein Theil durch eine Nervenanastomose verschiedene
Nerven gleicher A rt, so kann nach der Lähmung des einen der andere
Nerve nicht _ die Empfindung des ganzen Theiles. unterhalten, vielmehr
entspricht der Umfang der noch empfindlichen Stellen der Zahl
der noch unversehrten Primitivfasern. \ Anastorriosiren zwei Nerven
mit einander, so kann die eine Wurzel der Anastomöse nicht
die andere ersetzen, so wie die Arterien durch Anastomose einander
ersetzen, ' sondern überall, wo zwei Cerebrospinalnerven sich
aneinander legen, um einen dickem Stamm zu bilden,’ werden
durch die Lähmung der einen Wurzel dieses Stammes auch alle
Primitivfasern gelähmt, die von diesem Würzelchen in den Stamm
treten, und es bleiben nur diejenigen Fasern des Stammes übrig,
die von der noch nicht gelähmten Wurzel kommen. Auf diese Art
kann nach der Durchschneidung des N. ulnaris, welcher den 5.
und 4. Finger,“ zum Theil auch 3. Finger versieht, dieser nicht
durch die Comniunication dieses'ÏNerven mit dem N. medianus und
radialis ersetzt werden, sondern die Durchsöhneidung des N. ulnaris
lähmt die Empfindung in diesen beiden Fingern, wie bekannt
ist. Bleibt noch eine geringe Spur von Empfindlichkeit an der
Aussenseite des 4. Fingers zurück, so muss sie von den Primitivfasern
herrühren, die vom N. medianus sich zum Ramus volaris des
N. ulnaris gesellen. Die geringe Empfindlichkeit, die im Gliede
von einem der Nerven zurückbleibt, kann also immer aus nicht
communicirenden und nur scheinbar anastorriotisehen Fasern anderer
Nerven erklärt werden. Diese Facta werden vollkommen
durch die Geschichte der örtlichen Lähmungen erläutert. In einem
Falle, in welchem Eakle (Med. chirurg, transact. Vol, VII.)
einen Theil des Ulnarnerven hinter dem Condylus int. ossis hu-
meri ausschnitt, konnte der kleine Finger noch fünf Jahre nach