
sen jetzt zu bestimmen suchen, ob sieb diese Art der Vergiftung
weiter verbreitet als über die unmittelbar, afficirten Nerven
und Muskeln. Ich habe directe Versuche angestellt, welche beweisen,
dass die örtliche Narcotisation der ganz entblössten und
frei präparirten Nerven nicht schnell sich verbreitet, sondern
auf den Ort der Narcotisation beschränkt bleibt.
1. Fürs Erste werden die Unterschenkelmuskeln und ihre Nerven
nicht mit narkotisirt, tvenn der Hauptschenkelnerve selbst durch
Eintauchen in ,essigsaures Morphin oder Opiumauflösung narko-
tisirt war. Der mechanische und galvanische Reiz bewirkt dann
an dem obern Ende des Nerven keine Zuckungen der Muskeln
mehr, wohl aber, wenn sie auf die unteren Theile des Nerven
und die Unterschenkelmuskeln applicirt wurden. Die narkotische
kVirkung wirkt also vom TSreri>enstamm nicht auf die Aeste.
2. Die narkotische Wirkung auf einer Stelle des Nerven wirkt
auch nicht rückwärts auf das Gehirn. Ich habe schon die hie-
her gehörigen Versuche von Kröten erwähnt, deren Schenkelnerven
ich durch Narcotisation alle Reizbarkeit genommen hatte,
ohne dass diess auf die übrigen Theile des Rumpfes zurückwirkte.
Dass aber allmählig eine Rückwirkung erfolge, machen andere
Beobachtungen wahrscheinlichdenn durch jede örtliche Erschöpfung
der Nervenkraft durch Entzündung, Brand entsteht
allmählig Erschöpfung der allgemeinen. Nervenkräfte. Hier lernen
wir nun einen wichtigen Unterschied in der Wirkung der
Einflüsse auf das Nervensystem kennen. Denn
a. die Reize, welche Nervenerscheinungen bewirken durch
Reizen der Nervenkraft, wirken augenblicklich in; der ganzen
Länge der Nerven durch alle Fasern, die irgendwo gereizt worden
sind. Die Zuckung erfolgt auf der Stelle in der Entfernung an
den entsprechenden Muskeln, wenn die Nervenfaser irgendwo in
ihrer Länge vom Stamme bis zum Muskel, gereizt wird, und eben
so schnell erfolgt die Empfindung.
b. Die Einflüsse, welche die Summe der vorhandenen Kraft
verändern, nämlich erschöpfen, wirken nicht von dem örtlichen
Theile schnell und unmittelbar auch in der Richtung der Nervenfasern,
sondern allmählig, indem sich die Kräfte der gesunden uhd
kranken Theile der Nerven in Gleichgewicht setzen, und der örtliche
Zustand allgemeine Symptome erregt.
So bewirkt die Erblindung eines Auges zuletzt allmählig Atrophie
des Sehnerven, welche eben so nach Atrophie eines Thalamus
n. optici erfolgt. So schreitet die Tabes dorsahs von Unten
nach oben fort. So entsteht nach heftiger Verletzung einzelner
Nerven Veränderung des ganzen Rückenmarkes, Tetanus.
III. He b e r die Abh än g ig k e i t d e r Ne rven vom Gehi rn und
Rückenmarke .
In wiefern zur Erhaltung der Reizbarkeit der Nerven ihre
dauernde Communication mit dem Gehirn und Rückenrnarke noth-
wendig sey, und ob die Muskeln ohne die Communication ihrer
Nerven mit den Centraltheilen des Nervensystems ihre Reizbarkeit
zu erhalten vermögen, diese Frage konnte man sich bisher
nicht mit Sicherheit beantworten, ja sie ist kaum einige Mal berührt
worden. Man weiss zwar, dass die Nerven nach der Durchschneidung
noch eine Zeitlang in dem dem Gehirneinfluss entzogenen
Stücke ihre Reizbarkeit behalten, d. h. fähig sind, auf
Reize, die auf sie angewandt werden, Zuckungen der Muskeln
zu bewirken; allein eine ganz andere Frage ist, ob die Nerven
fähig sind, die Reizbarkeit für immer unabhängig vom Gehirn
zu behalten. Nysten hatte behauptet, dass die Muskeln von
kurze Zeit nach einem apoplektischen Anfalle Verstorbenen trotz
der Hirnlähmung auf galvanischen Reiz sich zusammenzögen. Nysten
recherches de physiot. et de chim. pathol. Ich hatte jedoch
gute Gründe, zu glauben, dass die Nerven nur kurz nachher noch
ihre Kraft besässen, diese aber nach einein längeren Zeiträume
vollkommen untergehe, so dass es scheinen sollte, als kämen den
Nerven nur unter dem steten und unversehrten Einflüsse des
Gehirns eigenthümliche Kräfte zu. Denn einmal hatte ich bei
Versuchen über Wiedererzeugung des Nervengewebes an einem
Kaninchen die Beobachtung gemacht, dass der untere Theil des
N* ischiadicus, den ich einige Monate vorher durchschnitten hatte,
fast alle Kraft, auf Reize zu reagiren, verloren hatte und Fow-
lEr hatte schon eine ähnliche Beobachtung gemacht. Ueber
diesen Gegenstand habe ich hernach mit Dr. Sticker neue Versuche
angestellt, welche jene Vermuthung vollkommen bestätigt
haben. Siehe Sticker in Muet.ler’s Archiv fü r Anat. undPhysiol.
B. 1. Um die Regeneration der Nerven zu verhüten, und das
untere Nervenstück sicherer dem Einflüsse der Centraltheile des
Nervensystems zu entziehen, wurde den Thieren ein ganzes Stück
aus dem N. ischiadicus ausgeschnitten. Obgleich die Versuche
nur an mehreren Thieren, nämlich zwei Kaninchen' und einem
Hund angestellt worden, so haben sie doch so übereinstimmende
Resultate geliefert, dass man auf diese Versuche hauen konnte.
Zwei Monate und drei Wochen nach der Durchschneidung
des N. ischiadicus geschah der Versuch an dem ersten Kaninchen.
Sobald der Nerve in seinem Verlaufe zwischen dem Muse.,
b.iceps und semitendinosus blossgelegt war, zeigte sich wider
Erwarten und zu grossem Leidwesen, dass die Continuität der
Nerven sich wieder hergestelll hatte. Der Nerve wurde sofort
von neuem unterhalb der Narbe durchschnitten (wobei,
was merkwürdig ist, zwar nicht die mindesten Zuckungen wahrgenommen
wurden, da^ Thier aber laut aufschrie), und der untere
Theil desselben durch Galvanismus in der Form eines einfachen
Plattenpaares, dann auch durch Einschneiden und gewaltsame
Zerrung auf die verschiedenartigste Weise gereizt; allein
es trat keine Spur von Zuckung ein.
Vergleichungsweise wurden darauf die Versuche auf der andern
Seite wiederholt. Bei der Durchschneidung des Nerven
äusserte das Thier den lebhaftesten Schmerz und es entstanden
sehr heftige Zuckungen, und nach der Durchschneidung erregten
selbst ganz geringe Irritationen, sey es, dass sie auf den Ner