
die Lebenskraft wirkt nur in dem neuen Sprossen fort , der aut
der einen Seile ebenfalls sieb wieder verlängert, um auf der andern
Seile immer .wieder abzusterben. Was hier in einem Zusammenbange
geschieht, nämlich das Absterben auf einer Seite
und die Bildung eines neuen fortlebenden Körpers auf der andern,
das geschieht abgebrochen beim Menschen und den vollkommenen
Thieren. Das kiud löst sich als neuer fortdauernder
Körper von der Mutter früher ab, als diese stirbt, und diese stirbt
auf einmal, während die Species unsterblich scheint.“ Autenrieth
Physiol. 1. 112. Die Frage, warum die organischen Körper vergeben,
und warum die organische Kraft aus den producirenden
Theilen in die jungen lebenden Produkte der organischen Körper
übergebt und die alten producirenden Theile vergehen, ist eine
der schwierigsten der ganzen allgemeinen Physiologie, und wir
sind nicht im Stande, das letzte Räthsel zu lösen, sondern nur
den Zusammenhang der Erscheinungen darzustellen. Es würde
ungenügend sein, hierauf zu antworten, dass die unorganischen
Einwirkungen das Leben allmäblig aufreiben ;■ denn dann müsste
die organische Kraft vom Anfang eines Wesens schon abzunehmen
anfangen. Es ist aber bekannt, dass die organische Kraft
zur Zeit der Mannbarkeit noch in solcher Vollkommenheit besteht,
dass sie sich in der Keimbildung müitiplicirt. Es muss
also eine ganz andere und tiefer liegende Ursache seyn, welche
den Tod der Individuen bedingt, während sie die bortpflanzung
der 'organischen Kraft von einem .Individuum zum andern und
auf diesem Wege ihre Unvergängiichkeit sichert. Man könnte
auch behaupten, dass die zunehmende Gebrechlichkeit der organischen
Körper im Alter durch die zunehmende Anhäufung gewisser
zersetzter Stoffe in ihnen entstehe, deren Wahlverwandtschaft
sich mit der Lebenskraft in Gleichgewicht setzte; allein
auch dann müsste die organische Kraft von Anfang an abnehmen.
So erklärt D utrochet das Alter aus der zunehmenden Anhäufung
von Sauerstoff im thierischen Körper. Allein dieser Anhäufung
fehlt der Beweis. Wir sind hier bloss im Stande, den Zusammenhang
der Erscheinungen mit der Entwickelung darzustellen.
Vergleicht man den Keim eines organischen Wesens mit seinem
Zustand im höchsten Alter, so besteht das Ganze, welches nach
K amt die Existenz der einzelnen Theile bedingt,; im höchsten Alter
fast bloss in der Wechselwirkung der eiüzelnen Theile und
ihrer Kräfte, ähnlich einem Mechanismus, der bloss durch die
Wechselwirkung seiner Theile erhalten wird. In dem Keim dagegen
ist die Kraft, welche den Grund zur Production aller
Theile enthält, noch unvertheilt vorhanden. Das organische
Princip ist im Keim gleichsam im Zustande der grössten Concen-
tration. Die Entwickelungsfähigkeit ist jetzt am grössten, die
Entwickelung am geringsten. Hat nun jene Kraft eine Zeitlang
gewirkt, ist der Organismus bis über die Jugend entwickelt,, so
haben wir nicht mehr ein Einfaches mit der unvertheilten Kraft
des Ganzen vor Augen, sondern ein Mannigfaltigfes mit vertheil-
ten Kräften. Je mehr aber die Kraft des Ganzen vertheilt ist,
je weniger noch unverwandte organische Kraft vorhanden, um
so mehr scheint der Organismus die Fähigkeit zu verlieren, durch
den -Einfluss allgemeiner Lehensreize belebt zu werden, um so
oerin°er wird gleichsam die Affinität zwischen der organischen
Materie und den allgemeinen Lehensreizen, welche das Leben
«leich der Flamme anfachen, daher nach vollendeter Entwickelung)
wenn das unsterbliche Leben gesichert sein soll, die Erzeugung
eines Keimes nöthig ist, der wegen der noch unvertheilten
Kraft, auch gleichsam noch die grösste Affinität zu den Lebensreizen
besitzt, die in dem Maasse abnimmt, als der Organismus
sich entwickelt. Dies sieht einer Erklärung gleich, im Grunde
ist es aber nur eine Darstellung des Zusammenhangs der Erscheinungen,
von welcher nicht bestimmt behauptet werden kann,
dass sie richtig ist.
Wir wenden uns nun zur zweiten Frage, warum auch die
Materie beständig während des Lebens eines organischen Körpers
vergänglich ist und durch neue organische Materie ersetzt werden
muss? Diess ist weniger bei dfen Pflanzen der Fall und
zeigt sich wenigstens vorzugsweise nur in dem aümähligen Absterben
älterer Blätter, dahingegen das einmal gebildete, wie
T iedemann bemerkt, lange keinem Stoffwechsel unterworfen ist,
sondern eine Zeitlang in seiner Mischung beharrt. In den Thieren
zeigt sich dagegen ein beständiger Wechsel der Stoffe. T iedemann
leitet indess diesen Unterschied davon ab, dass in den
Thieren Kraftäusserungen Vorkommen, welche Veränderungen in
dem materiellen Substrate der Organe hervorbringen, wie es mit
der Wirkung der Nerven der Fall zu seyn scheine. Physiol. 1.376.
S niadecki hat sich mit der Auflösung dieser Frage in seinem
ausgezeichneten Werke, Theorie der organischen Wesen, aus dem
Polnischen, Nürnberg 1821, besonders beschäftigt.
S niadecki nennt die Materien, welche zur Nahrung der organischen
Körper dienen können, die belebungsfähigen Materien.
Die Belebungsfähigkeit dieser Materien ist aber eine ganz allgemeine;
sie ist aller Formen gleich fähig, so lange nicht bestimmte
Einflüsse auf sie wirken, und eben darum ohne bestimmte Form.
Die organische Materie strebt also, wie S niadecki sich ausdrückt,
im Allgemeinen zum Leben und zur Organisirung. Sobald aber
ein gewisser Theil derselben unter die Gewalt irgend eines Individuums
geräth, ertheilt die individuelle Kraft diesem allgemeinen
Streben eine gewisse Richtung; daher kommt die individuelle und
örtliche Gestalt und die Gattung und Art des Lebens. Jede besondere
Organisation ist also nach S niadecki der Erfolg zweier
Bestrebungen, einer allgemeinen, welche in der Materie selbst statthat,
vermöge welcher gewisse' Stoffe zum Leben und zur Organi-
Suuug im Allgemeinen streben, und einer zweiten besondern,,
welche in den Individuen stattfindet, welche die Art eines solchen
Lebens und die Form der Organisation bestimmt. Dieses
Theilchen der belebbaren Materie also, welches die Wirkung ei-
ner gewissen individuellen Kraft zum Theil oder ganz erfahren
iat, und welches in dem Maasse belebt ist, muss, weil es deshalb
nicht aufgehört hat, belebhar zu seyn, vermöge dieser Eigenschaft
zum weitern Leben streben und zur Annahme aller anderen or